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Landeshauptstadt: Ein Haus voller „Lernfelder“

Comenius-Förderschule hat eine neue Adresse – am Brauhausberg 10 – Einweihung am 28. März

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Philipp schlägt mit den flachen Händen auf die afrikanische Trommel. Musiklehrerin Annett Jänicke gibt den Rhythmus vor – mal sanft, dann wieder härter. Philipp macht es nach: sanft und härter, trommelt zwischendurch auch schon mal auf die Gitarrensaiten und lauscht dem sich verlierenden Klang nach. Der Zweitklässler ist einer von 108 Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 21 Jahren, welche die Comenius-Förderschule besuchen.

Neues Domizil der „Förderschule für geistig Behinderte“, wie die Bezeichnung nach dem Landesschulgesetz lautet, ist seit Anfang Februar die „Finkenwegschule“ mit der neuen postalischen Anschrift Brauhausberg 10. Am 28. März findet die Einweihungsfeier statt.

Die Musik ist eines der vielen „Lernfelder“, welche die Förderschüler beackern, um sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf das Leben vorzubereiten. „Die Musik ist ganz besonders wichtig“, weiß Förderschulrektorin Edith Volkmer. „Du bist bärenstark...“, begleitet Klassenlehrer Nicolas Meyer den Gesang seiner Schützlinge auf der Gitarre. Diese artikulieren sich mit sichtlicher Lust und gestikulieren voller Temperament beim Singen. Künstlerische Arbeit mit verschiedenen Materialien wie Papier, Holz, Keramik und farbigem Sand gehören zum Programm, ebenso wie Sport und Spiel und weniger bunte Lernprozesse.

Das von Grund auf sanierte Schulgebäude, finanziell ermöglicht durch das Ganztagsförderprogramm des Bundes, bietet fast alle Möglichkeiten, die für die Ausbildung geistig behinderter junger Menschen notwendig sind. Das nach den Plänen des Architekturbüros Becker in Abstimmung mit der Denkmalpflege hergerichtete und teilweise neu gestaltete Gebäude dürfte als eines der schönsten Schulhäuser Potsdams gelten. Neu ist zum Beispiel der Mehrzweckraum im Dachgeschoss, von außen durch ein riesiges Dachfenster zu erkennen. Hier vor einem großen Spiegel ist der kleine Philipp mit seiner Lehrerin im „Lernfeld Musik“ aktiv. Der Raum dient als Musikzimmer, Tanzsaal, Theaterraum und Aula gleichermaßen. Die Fenster lassen sich automatisch verdunkeln, so dass Filmvorführungen möglich sind. Dazu das ästhetische Beiwerk: frei sichtbare Stützbalken wie in vielen Räumen, auch im Dienstzimmer der Rektorin. „Für die Lehrerinnen fielen die Winterferien aus“, berichtet die Chefin, „denn für den Umzug wurde jede Hand gebraucht.“ Im Jahre 2004 gab es schon Geld für neue Möbel, da war an das neue Schulhaus noch nicht zu denken. Also wurde das Inventar am alten Standort Zum Teufelssee 6 eingelagert. Dort musste die Einrichtung bis Anfang dieses Jahres auf den Umzug warten. Zum Schluss galt es, die Fachräume einzurichten. „Die Kinder haben mit den Kollegen eine Woche lang gepackt“, berichtet Volkmer.

Den Ausdruck „geistig Behinderte“ findet die Rektorin unzeitgemäß. Es sei vielmehr eine Schule mit dem Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“. So werde künftig auch die Bezeichnung lauten. Der Unterricht bewegt sich zwischen Diagnostik, Therapie wie Logopädie, Spiel und dem für die Förderschüler besonders anstrengenden Lernfeld Schreiben und Lesen. Bildliche Darstellungen spielen eine große Rolle. Zum Beispiel ist in der Werkraumordnung der Holzwerkstatt eine Hand abgebildet, bei der von einem Finger Blut tropft. Für die Schüler bedeutet das: „Verletzungen melden“.

Menschen mit schweren Syndromen gehören zur Klientel ebenso wie Autisten. Letztere sind Kinder, die sich in ihrer eigenen Fantasiewelt bewegen. Zu diesen gehört jener einsame 16-Jährige, der Zahlenreihen mit farbigen Stiften endlos und unentwegt untereinander schreibt, für den Betrachter der Szene eine Sisyphusarbeit.

34 Lehrkräfte, überwiegend Frauen, kümmern sich in der Ganztagsschule um die geistige Entwicklung der Förderschüler. Dabei geht nichts nach Kommando oder mit Druck. Einzelunterricht und Beschäftigung in kleinen Gruppen bis zu maximal elf Schülern sind die Methode der Wahl. Ein großer Aufwand. „Die Kinder brauchen das“, sagt Edith Volkmer, die seit 37 Jahren in der Sonderschulpädagogik arbeitet. Manchmal sei es angezeigt, zu „snoezelen“. Dazu gibt es einen abgeschirmten Raum: Ruhe herrscht hier, in farbigen Wassersäulen perlen Luftbläschen, bunte Ringe bewegen sich mittels Projektion an Wand, Decke oder Fußboden, von der Rundliege oder vom Wasserbett aus verfolgt ein Schüler das bunte Spiel...

Das Ziel bestehe darin, die Schüler auf die Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte vorzubereiten, so die Rektorin. Aus diesem Grunde gebe es einen engen Kontakt mit den Einrichtungen an der Kohlhasenbrücker Straße und auf Hermannswerder. Hier machen die Älteren regelmäßig Praktika. „Was hast du in der Werkstatt heute gemacht?“, will die Rektorin von Melanie wissen. „Möbeldübelmontage“, spricht die Jugendliche, welche die Schule dieses Jahr verlässt, das komplizierte Wort fehlerfrei aus.

Acht ehemalige Schüler hätten eine eigene Wohnung, zwei lebten mit einem Partner zusammen, berichtet Volkmer mit sichtlichem Stolz auf jeden noch so kleinen Erfolg der Förderung.

Günter Schenke

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