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Landeshauptstadt: „Ein intimer Bereich“

Zahnarzt Dr. Wolfram Sadowski über ängstliche Patienten und zweieinhalb wichtige Minuten

Stand:

Herr Sadowski, bundesweit leiden etwa fünf Millionen Menschen an einer Zahnarztphobie. Woher kommt diese Angst?

Viele Patienten haben im Kindesalter Zahnbehandlungen als schmerzhaft erlebt und diese Erfahrung gespeichert. Bei der Behandlung wird am Kopf, im Mund manipuliert. Das ist ein intimer Bereich, in dem man Nähe nicht ohne Weiteres zulässt. Dazu kommen weitere unangenehme Empfindungen wie Schmerzen, Vibrationen, langes Offenhalten des Mundes. Die Angst hat also verschiedene Ursachen, die sich zudem gegenseitig verstärken können. Ein seltener Kontakt mit dem Zahnarzt trägt so zur Erhöhung der Hemmschwelle vor dem Arztbesuch bei.

Die Behandlungsmethoden werden immer besser, sanfter und schmerzarmer. Warum wird die Angst nicht weniger?

Die sanfteren Behandlungsmethoden kann man nur aus eigenem Erleben bewerten. Das ist für einen Angstpatienten schon die erste Hürde. Wenn der Schritt erst einmal getan ist, eine regelmäßige Behandlung oder Kontrolle erfolgt, wird die Angst in der Regel deutlich abgebaut.

Im Fernsehen sieht man, wie Problem-Patienten in wenigen Wochen wunderschöne neue Zähne bekommen. Ist das realistisch?

Nein. Das sind keine realistischen Situationen. Die vorgeführte Therapie ist in der Regel überzogen und sehr kostenintensiv. Das bezahlt auch kaum der Patient. Letztlich wird die aufwendigste Therapie auch nicht zum dauerhaften Erfolg führen, wenn der Patient nicht sein Verhalten ändert und die ständige Nachsorge gesichert ist. Das zeigt das Fernsehen nicht mehr. Wie Tucholsky schon sagte: „Darum wird beim Happy-End für gewöhnlich abgeblendt.“

Was sagen Sie denn zu jemandem, der völlig panisch im Behandlungszimmer steht?

Mit solchen Patienten wird zunächst außerhalb des Behandlungsstuhls ein Gespräch geführt, über seine Wünsche und Beweggründe und mögliche Ursachen für dessen Angst. Des Weiteren sprechen wir über die Möglichkeiten einer schmerzarmen Behandlung und die ersten Behandlungsschritte. Erst danach beginnt die Behandlung im Zahnarztstuhl. In der ersten Sitzung beschränken wir uns auf die allernotwendigsten Maßnahmen.

Welche medizinischen Möglichkeiten haben Sie, um Patienten zu beruhigen?

Das Wichtigste ist die psychologische Führung der Patienten. Das erfordert Einfühlungsvermögen. Der Patient muss zum Partner bei der Behandlung werden. Dass alle Möglichkeiten einer schmerzarmen, schonenden, minimalinvasiven Behandlung genutzt werden, versteht sich von selbst. Neben der örtlichen Betäubung ist es möglich, medikamentös eine Beruhigung zu erzielen. Dazu braucht man viel Erfahrung, und diese Mittel haben Nebenwirkungen. Hypnose wird oft empfohlen. Das funktioniert jedoch nicht bei jedem. In ganz schlimmen Fällen ist eine Behandlung unter Vollnarkose unter ärztlicher Aufsicht zu erwägen. Aufgrund möglicher Nebenwirkungen ist das nicht bei jedem Patienten möglich.

Manche Zahnärzte sagen, die Behandlung von Problempatienten lohne sich nicht.

Die Behandlung von ängstlichen Patienten ist zeitaufwendig. Ein finanzieller Gewinn ist zumindest zu Beginn nicht zu erzielen. Wenn es mir gelingt, einem Patienten seine Ängste zu nehmen und ihn erfolgreich zu behandeln, gibt mir das Bestätigung in meinem Beruf und damit einen immateriellen Gewinn. In einer gutgehenden Praxis sollte die Behandlung vereinzelter Angstpatienten wirtschaftlich durchaus möglich sein.

Müsste sich das Vergütungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung ändern?

Zuwendung zum Patienten wird ja zu Recht gefordert und ist wesentlicher Inhalt unseres Berufsverständnisses. Nur die adäquate Honorierung wird im System vergessen. So steht mir für die Beratung des Patienten, betriebswirtschaftlich umgelegt, eine Arbeitszeit von 2,5 Minuten zur Verfügung. Da sieht man, dass hier einiges schief liegt.

Die Fragen stellte Steffi Pyanoe

Wolfram Sadowski, 59, ist Zahnarzt in Gransee, Geschäftsführer des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte (FVDZ) in Brandenburg sowie Mitglied im Bundesvorstand des Verbands.

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