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Millimeterarbeit. Daniel Fitzenreiter zeigt den Sängern der Komischen Oper Berlin, wie die Bildrestauratoren im Neuen Palais so arbeiten. Die Künstler hatten sich auf den Weg nach Potsdam gemacht, um sich auf ihre Rollen in der nächsten Mozart-Inszenierung einzustimmen.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Ein Mittel gegen die Geschichts-Allergie

Das Ensemble der Komischen Oper Berlin hat sich im Neuen Palais auf „Così fan tutte“ vorbereitet

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Nacktes Fleisch, barocke Formen – es ist eine anzügliche, fast schon pornografische Szene, um die sich die knapp 20 Sänger der Komischen Oper Berlin hier drängen. Ob man bei so viel Sinnlichkeit nicht mal von der Arbeit abgelenkt sei, will einer wissen. „Ich versuche, Arbeit und Privates zu trennen“, sagt Daniel Fitzenreiter und lacht. Der Restaurator führt die kleine Delegation von Künstlern, Kostümbildnern und Regisseur durch sein Reich – die Bilderwerkstatt im Neuen Palais.

Es ist ein Ort, an dem Geschichte und Gegenwart zusammenfallen, hier werden die Gemälde aus der Sammlung Friedrichs des Großen fit für die nächsten hundert Jahre gemacht. Mit einem ähnlichen Dreh arbeitet auch der Regisseur Alvis Hermanis, der an der Komischen Oper Mozarts „Così fan tutte“ inszeniert. „Gerade im deutschen Theater herrscht eine totale Allergie gegen alles Historische, das existiert dort einfach nicht.“ Also musste er sich etwas einfallen lassen, um den alten Opernstoff hier gut über die Bühne zu bringen – und er verlegte die Szenerie einfach in eine Restaurationswerkstatt wie die im Neuen Palais. Die Sänger agieren also im Jetzt und Heute, bis eines der Bilder zu leben beginnt – und damit auch die Vergangenheit lebendig macht. "So baue ich auch eine Brücke zwischen Mozarts Musik und den Gemälden seiner Zeit, die beide dieselbe Erotik ausstrahlen."

Natürlich, sagt Hermanis, habe es lange Vorbereitungen gegeben, Filmmaterial über die Arbeit von Restauratoren wurde gesichtet – und trotzdem: „Die Schauspieler und Sänger brauchen das Irrationale, die Atmosphäre und den Geruch der Werkstatt, um sich wirklich auf das Stück einzustimmen.“ Das ist so seine Methode. Für eine Inszenierung am Schauspielhaus Zürich reiste er einmal mit dem gesamten Team in die Sahara.

Den Sängern gefällt das – und sie wollen es genau wissen: „Gibt es denn wie bei Musikern auch typische Restauratorenhände?“, wollen sie etwa wissen. Die gibt es nicht, Hauptsache, man hat Kraft in den Händen. Aber es gibt da diesen speziellen Restauratorenblick, der sondierend über die Leinwand streicht, lernen sie.

Und auch, dass man sich manchmal fast in ein Porträt verlieben kann: 17 Jahre hat Fitzenreiter an einem Bild von „Katharina der Großen“ gearbeitet. „Sie ist mir in dieser Zeit zumindest sehr sympathisch geworden, das war schon eine unglaubliche Frau“, sagt er. Noch heute verlangsamt er seinen Schritt, wenn er im Neuen Palais an dem Gemälde vorbeigeht. „Deshalb mache ich den Beruf, ich will den Bildern nahe sein, sie in den Händen halten“, sagt er. Einen besseren Weg, als sie zu pflegen und zu reparieren, gibt es dazu wohl kaum. An „Katharina der Großen“ waren übrigens zwei Generationen von Restauratoren vor ihm gescheitert, der Grund war die spezielle russische Leinwand. Die war über die Jahre geschrumpft und musste vorsichtig, Millimeter für Millimeter, wieder gestreckt werden. Geduld braucht man also auch in diesem Job.

Das schreckt die Theaterleute nicht. Die Kostümbildnerin, eine gestandene, kompetente Frau mit blonden Locken, fragt sogar, ob sie nicht mal ein Praktikum bei Fitzenreiter machen könne. Daraus wird aber wohl leider nichts, das geht nur studiumsvorbereitend.

Trotzdem : Künstler und Bewahrer verstehen sich bei diesem Treffen – manchmal ist die Grenze zwischen beiden ohnehin fließend. Nicht nur dann, wenn ein Regisseur einen historischen Stoff für die geschichtsmüden Berliner spannend machen will: „Wenn sich nicht genau rekonstruieren lässt, wie ein Bild an einer bestimmten Stelle ausgesehen hat, und wir auch keine Fotoaufnahmen davon finden, kann es schon mal nötig sein, selbst kreativ zu werden“, sagt Fitzenreiter.

Meistens arbeitet er aber am Mikroskop, etwa um winzige Risse in den Leinwandfäden wieder zu verkleben. „Die menschliche Hand kann viel feinmotorischer arbeiten, als das unser normales Sehvermögen zulässt“, sagt er. An die Bilder, die überall in seiner Werkstatt stehen, lässt er die Sänger aber nicht zu nahe heran. So wird es Mirka Wagner, die in „Così fan tutte“ Despina, das Hausmädchen, spielt, auch auf der Bühne ergehen. Für sie heißt es: Finger weg von den Bildern und den Boden wischen. Dabei ist sie begeistert von Fitzenreiters Arbeit – und seinem Arbeitsplatz. „Hier arbeiten zu dürfen, in diesen alten Gemäuern, neben diesem alten Kamin, das ist schon etwas Besonderes.“ Vor allem fasziniert sie aber die Sorgfalt der Restauratoren: Fitzenreiters Chefin Bärbel Jackisch zieht gerade mit einer Mikroskopbrille alte Nägel aus einem Bilderrahmen. „Ich würde die einfach wegwerfen, aber hier werden sie gesäubert und wieder verwendet“, sagt Wagner.

Bevor die Sänger wieder nach Berlin aufbrechen, werfen sie einen letzten Blick auf die barocken Bilder: Die Sammelleidenschaft des Alten Fritz, sagt Fitzenreiter noch, hat sich vor allem auf schöne, liebliche Themen beschränkt, Märtyrer-Darstellungen waren nicht seine Sache.“

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