Homepage: „Ein paar Nachtschichten eingelegt“
„Wenn in Griebnitzsee nichts fährt, hat man ein Problem“ Fabian Ludwig hat die Homepage www.zugausfall.de gestartet, auf der S-Bahn-Verspätungen gemeldet werden können
Stand:
Herr Ludwig, wie lief Ihre erste Uni-Woche nach Jahresbeginn?
Das war ziemlich chaotisch. Es war schwer, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Standorten der Potsdamer Uni zu gelangen. Die S-Bahnen fuhren völlig unregelmäßig, sie waren von Berlin nach Potsdam auf 20-Minuten-Takt verkürzt. Und selbst dieser Takt wurde kaum eingehalten. Hinzu kam, dass am 6. Januar morgens der Busverkehr wegen Glatteis komplett eingestellt wurde. Die Uni war an dem Tag wie leer gefegt.
Der Lehrbetrieb fiel tatsächlich flach?
Es gab an dem Tag sogar eine E-Mail der Verkehrskommission der Uni Potsdam, die allen Studierenden empfohlen hatte zu Hause zu bleiben. Der Lehrbetrieb war stark eingeschränkt. Nur Studierende, die nahe der Uni wohnen oder mit dem PKW kommen, waren anwesend.
In der Situation kam Ihnen dann die Idee zu einer Homepage, auf der man in Echtzeit erfahren, kann welche S-Bahn gerade Verspätung hat.
Nein, das war ein Projekt, das vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik von Professor Norbert Gronau schon zu Semesterbeginn angeboten wurde. Allerdings nicht mit dieser Zielsetzung, das Thema war allgemein Fahrgastkommunikation bei der S-Bahn. Vor dem Hintergrund der S-Bahn-Probleme im vorherigen Winter haben wir uns dann auf das Thema Verspätungen festgelegt.
Sie sind auf dem Höhepunkt des neuerlichen Bahn-Chaos online gegangen. Zufall oder gutes Timing?
Das war kein Zufall. Als wir mitbekamen was los ist, haben wir versucht unsere Idee so schnell wie möglich umzusetzen. Was dann auch gelungen ist. Als wir sahen, dass die Lage komplett unübersichtlich wird, haben wir ein paar extra Nachtschichten eingelegt und zugausfall.de frei geschaltet.
So gesehen kam das Bahn-Chaos gelegen.
Das würde ich nicht sagen. Ich freue mich jedes mal, wenn ich nicht am Bahnsteig auf die Bahn warten und frieren muss. Ohne die Probleme bei der S-Bahn hätten wir unser Projekt jedoch gar nicht erst entwickelt.
Sie sind selbst Pendler?
Ich wohne und studiere in Potsdam, fahre aber oft nach Berlin. Interessant ist unser Angebot aber auch im Potsdamer Bereich, denn der Uni-Campus Griebnitzsee ist beispielsweise hauptsächlich über die S-Bahn angebunden. Wenn da nichts fährt, hat man ein Problem.
Was bringt es mir nun, wenn ich am Bahnsteig stehe und auf dem Smartphone lese, dass meine Bahn 20 Minuten später kommt?
In dem Moment natürlich nicht mehr viel. Man sollte schon bei uns reinschauen, bevor man sich auf den Weg macht. Dann sieht man möglicherweise, dass die benötigte Linie Verspätung hat oder der Zug ausfällt. Dann kann man länger zuhause bleiben oder in der Uni-Cafeteria noch einen Kaffee trinken. Wenn man aber am Bahnsteig steht, hat man eher die aktive Rolle. Über unsere Internet-Seite kann der Fahrgast dann den anderen Leidensgenossen mitteilen, welcher Zug gerade zu spät ist.
Wie wird Ihr Angebot angenommen?
Die Teilnahme ist derzeit rege, wir bekommen viele Meldungen herein. Seit Beginn des Projekts zählen wir über 10 000 Besucher und über 50 000 Seitenaufrufe. Je mehr Menschen daran teilnehmen und ihre Verspätung melden, desto präziser werden die Informationen. Wir sind parallel zu dem Betrieb auch noch aktiv in der Weiterentwicklung und werden wöchentlich neue Features einbauen, die auf Anregungen von Usern aus dem Netz zurückgehen.
Was aber, wenn jemand eine Verspätung einträgt, die gar nicht stimmt?
Aufgrund der Masse an Meldungen fallen einzelne Falschmeldungen nicht so sehr ins Gewicht. Außerdem haben wir Mechanismen eingebaut, um offensichtliche Falschmeldungen völlig auszuschließen. Wenn man prinzipiell von Falschmeldungen ausgehen würde, wäre das ein Argument, um das gesamte Web 2.0 abzuschalten.
Ich sehe gerade, hier hat ein Witzbold eingetragen, dass die S1 Richtung Oranienburg eine Minute Verspätung hat
Es gibt tatsächlich auch das Problem mit Anschlusszügen, beispielsweise in Wannsee, die kann man schon wegen weniger Minuten Verspätung verpassen.
Heute morgen war die S-Bahn pünktlich, aber die Regionalbahn hatte 15 Minuten Verspätung. Warum finde ich auf Ihrer Homepage keine Regionalzüge?
Das Problem ist uns bewusst, unser Uni-Projekt hat sich aber ausschließlich auf die Fahrgastkommunikation mit der S-Bahn bezogen. Wir wollen auch gerne die Regionalzüge aufnehmen, das ist eine Option für die Weiterentwicklung unseres Angebots. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass die Deutsche Bahn Fahrgastkommunikation betreibt, hier sind Zugverspätungen im Internet zu finden. Das gibt es bei der Berliner S-Bahn nicht, von Verspätungen ist dort keine Rede.
Hat sich die S-Bahn denn schon bei Ihnen gemeldet?
Bislang noch nicht. Keine Stellungnahme. Ignorieren können die uns eigentlich nicht mehr. Aber wir sind auch nicht an die S-Bahn herangetreten.
Was erfahren Sie von den Usern aus dem Netz.
Wir haben einen regen Betrieb im Forum. Hier gibt es Anregungen und Vorschläge, aber auch Kommentare dazu, was die S-Bahn aus der Misere holen könnte. Wir wollen ein Forum für konstruktive Kritik schaffen. Es geht auch ein wenig um „geteiltes Leid“, das war ebenfalls Teil unserer Idee: Hilfe zur Selbsthilfe. Es gibt aber auch lustige Beiträge. Ein Fahrgast etwa hat seinen Leidensweg auf der Fahrt zum Tropical Island geschildert. Er hatte sich vorher akribisch einen Fahrplan zusammengestellt und war dann doch stundenlang unterwegs.
Und was erhalten Sie von der Uni dafür?
Wir bekommen einen Leistungs-Schein, da es sich um ein Vertiefungsseminar handelt. Dieses Projekt macht besonders viel Spaß, da hier ein tolles Studienfach mit gesellschaftlich relevanten Themen verknüpft wird. Es ist eine ganz neue Erfahrung, sich über eine Uni-Veranstaltung hinaus auch für die Öffentlichkeit zu engagieren. Das bringt wirklich etwas.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
Fabian Ludwig (22) studiert an der Universität Potsdam im fünften Semester Wirtschaftsinformatik. Zusammen mit Kommilitonen hat er die Internetseite zugausfall.de konzipiert.
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www.zugausfall.de
Ein Projekt der Wirtschaftsinformatiker
Wegen der anhaltenden Probleme bei der Berliner S-Bahn haben Studenten der Universität Potsdam die Internetseite www.zugausfall.de entwickelt, auf der sich Fahrgäste unabhängig über ausfallende und verspätete Züge informieren können. Die Seite gibt gemeldete Verspätungen in Echtzeit wieder und ermöglicht zudem, eine wöchentliche Statistik über Verspätungen zu erstellen, sagte . „Den offiziellen Statistiken der Berliner S-Bahn glauben wir nämlich nicht mehr“, fügte der Projektleiter hinzu.Fahrgäste können beim Warten auf dem Bahnsteig Informationen über ausfallende und zu spät kommende Züge mit ihrem internetfähigen Handy eintragen. Doch auch Stunden später ist es nützlich, die Informationen nachzutragen. Denn je mehr Daten einlaufen, desto aussagekräftiger wird laut Projektgruppe die Statistik. Die Seite lebt von der Beteiligung. Das Projekt wurde von Wirtschaftsinformatik-Professor Norbert Gronau an der Universität Potsdam ins Leben gerufen. Fünf Studenten bauen die Internetseite bereits seit Oktober auf. Neben Fabian Ludwig sind Christelle Kamdem, Christoph Königer, Marc Schwinzer und Anton Britvenkov beteiligt. Die Universität Potsdam war zu Jahresanfang selbststark vom eingeschränkten S-Bahn-Verkehr betroffen. Rund 40 Prozent der Studenten pendeln aus Berlin in die Potsdamer Hörsäle. PNN
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