Sport: Ein Prozent Hoffnung
Die Marathonläuferin Anja Carlsohn trainierte drei Wochen in Südafrika und könnte sich noch für Athen qualifizieren
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Die Marathonläuferin Anja Carlsohn trainierte drei Wochen in Südafrika und könnte sich noch für Athen qualifizieren Von Henner Mallwitz Ginge es nach Anja Carlsohn, könnten sich die Griechen noch mehr Zeit als ohnehin schon lassen und das ganze olympische Spektakel ruhig um ein Jahr verschieben. „Die Zeit bräuchte ich noch, dann wäre ich bestimmt auch fit genug für die Spiele“, sagt die 25-jährige Läuferin, die nur allzu gern die Strapazen auf der ursprünglichen Strecke von Marathon nach Athen auf sich nehmen würde. „Für einen Marathonläufer ist das wohl das Größte.“ Doch nach den schweren Verletzungen, an denen die Potsdamer Studentin in den vergangenen Jahren zu knabbern hatte, reicht die Kraft noch nicht vollends aus, um beim größten aller Sport- Events mit dabei sein zu können. Dass jedoch nicht mehr viel fehlt und sogar noch ein – wenn auch nur äußerst kleiner – Hoffnungsschimmer auf ein Ticket nach Athen besteht, stellte sie erst kürzlich in der Höhenluft Südafrikas unter Beweis. Geher-Bundestrainer Ronny Weigel hatte ans Kap geladen, und so begleitete die Läuferin ihre Kollegen Melanie Seeger, Sabine Zimmer und Andreas Erm aus der anderen „Sparte“ in die 2000 Meter hohen Berge 200 Kilometer südlich von Johannisburg. „Die fanden das recht mutig, aber das Ganze tat mir sehr gut“, erzählt die Athletin, die für Nike Berlin startet. Und in der Tat wuchs Anja Carlsohn in dem milden Klima von Dullstroom über sich hinaus und absolvierte mit 255 gelaufenen Kilometern pro Woche ein Pensum, das in Deutschland derzeit auch wegen der Witterung nicht möglich wäre. „Meine Muskelverhärtung, an der ich litt, war sofort weg.“ Rote Blutkörperchen haben sich bei der Läuferin nach dem dreieinhalbwöchigen Höhentrip zur Genüge gebildet – ein weiteres Trainingslager in derartigen Gefilden wäre jedoch für den letzten Feinschliff vor den Deutschen Meisterschaften und der damit verbundenen Olympia-Qualifikation am 2. Mai in Hannover sinnvoll. Und so sitzt Anja Carlsohn im nächsten Monat schon wieder mit dem Geher-Team im Flieger, um in den 2400 Meter hohen Bergen von Mexiko für eine noch bessere Sauerstoffaufnahme zu sorgen. Den ausführlichen Check nach dem kürzlichen Höhenlager hat die Marathonläuferin in Leipzig am Institut für angewandte Trainingswissenschaften absolviert. Lauftest auf dem Band, Atemgasanalyse und Laktat-Test: „Jetzt bin ich wieder im Bereich meiner Bestleistung von 2:37, die ich 2001 in Hannover gelaufen bin. Das Trainingslager hat also angeschlagen.“ Bahn frei für Olympia? Nein, so einfach sei das nicht: „Beim Laufen spielt der Kopf eine große Rolle.“ Und ob der nach all dem Pech der vergangenen Zeit schon so frei ist, bleibt abzuwarten. Die Erinnerungen an das Jahr 2002 kommen oft noch hoch. Als sie sich beim Laufen in Geltow diesen schlimmen Ermüdungsbruch im Becken zuzog. Den kurierte sie nicht richtig aus – zwei weitere Frakturen waren die Folge. „Fast zwei Jahre lang war ich verletzt und konnte kaum trainieren“, erzählt Anja Carlsohn. Überbrücken, das ging. Mit dem Mountainbike täglich fünf Stunden. Vom Schlaatz nach Beelitz oder rund um den Schwielowsee. Erst im vergangenen Jahr nahm sie das intensive Training wieder auf. Drei Monate allmähliche Steigerung – dann wartete der Berlin-Marathon im September als erste große Herausforderung. Mit 2:42 wurde die Studentin auf Anhieb zweitbeste Deutsche und rückte auf der deutschen Bestenliste auf den sechsten Platz vor. „Wir sind auf dem richtigen Weg“, befand dann auch Vater Peter Carlsohn, einst DDR-Rekordhalter über 35 Kilometer und heute Coach seiner Tochter. Seine Worte nimmt sie sich zu Herzen – letztlich ist der Sport jedoch auch mit dem Studium der Ernährungswissenschaften unter einen Hut zu bringen. „Das geht zum Beispiel, indem man um 5.30 Uhr mit Rucksack und Wechselsachen vom Schlaatz nach Rehbrücke zum Institut läuft.“ Derzeit steckt die Läuferin voll in ihrer Diplomarbeit, will im Sommer mit allem fertig sein und hofft dann auf eine Doktorandenstelle an der Uni. Das große Ziel Olympia wird hingegen wohl noch warten müssen. Auch wenn sie die IAAF-Norm von 2:37 Stunden schafft – die vom DLV geforderte liegt bei 2:30. „Da bleibt nur ein Prozent Hoffnung. Aber ich bin ja noch jung“, weiß Anja Carlsohn. „Und da habe ich noch vieles vor mir.“
Henner Mallwitz
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