Von Peer Straube: Eine 90 Meter hohe Staubfontäne
250-Kilogramm-Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg ohne Zwischenfälle in der Nuthe gesprengt / Großeinsatz von Stadtverwaltung, Polizei und Feuerwehr / 7000 Potsdamer betroffen: Evakuierung von Zentrum-Ost und Teilen der Innenstadt
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Innenstadt/Zentrum-Ost - Karl Lubitz winkt ab. „Das ist doch nur eine 250-Kilo-Bombe“, sagt der 78-jährige Bewohner des Heilig-Geist-Seniorenstifts, während er auf die Evakuierung wartet. „Die Luftminen im Zweiten Weltkrieg haben eine Tonne gewogen. Die Sprengung wird ein Klacks.“ Von einem Klacks wird Sprengmeister Manuel Kunzendorf nach getaner Arbeit zwar nicht sprechen – aber es wird doch alles gutgehen.
300 Mitarbeiter der Stadtverwaltung frieren sich Donnerstagmorgen um halb acht auf dem Parkplatz der neuen Feuerwache die Beine in den Bauch. Ein Drittel mehr Leute als sonst hat das Rathaus diesmal als „Bombenkommando“ abgestellt, dazu kommen noch 60 Feuerwehrleute sowie 200 Polizisten und Mitarbeiter der Wasserwacht. „Der Sperrkreis muss diesmal absolut dicht sein“, erklärt Elona Müller, Beigeordnete für Katastrophenschutz. Schließlich werde diesmal nicht entschärft, sondern gesprengt. 7000 Menschen müssen Wohnungen oder Büros verlassen. Zentrum-Ost ist praktisch lahmgelegt, der Bahnhof auch, die Lange Brücke ist gesperrt.
Während die Rathaus-Trupps um die Häuser ziehen, um zu sichern, dass niemand in der Gefahrenzone bleibt, bereitet Kunzendorf zur selben Zeit die Sprengung vor. Stundenlang hatte der Kampfmittelbeseitigungsdienst am Dienstag versucht, die amerikanische Bombe, die in einer Tiefe von 1,30 Metern in der Nuthe lag, zu bergen – vergeblich. Die Strömung war zu stark. Ein Taucher bringt nun eine Hohlsprengladung an der Bombe an. Die Kapsel soll sich in den Blindgänger hineinsprengen und dafür sorgen, dass er das macht, was er 1945 nicht tat – hochgehen. Als Sicherheitsmaßnahme hat die Stadt für 1000 Euro bei einem Bauer in Uetz Strohballen gekauft, neun Tonnen insgesamt. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk haben das Stroh zu einem 60 Zentimeter starken „Floß“ verwoben und es auf den Wasserspiegel über die Bombe geschoben.
Inzwischen ist es fast 9.30 Uhr und die meisten der 280 angemeldeten Transporte sind erledigt. Die nicht Gehfähigen sind im Bergmann-Klinikum, die meisten aber vertreiben sich im offiziellen Sammelpunkt, der Aula des Humboldt-Gymnasiums, die Zeit mit Lesen oder Kreuzworträtsel lösen. Verwaltungsmitarbeiter reichen Tee und leisten, wenn nötig, Hilfe. Eigentlich hatte die Turnhalle in der Heinrich-Mann-Allee als Notquartier herhalten sollen, doch im Rathaus wurde kurzfristig umdisponiert – in der Halle herrschen derzeit nur 15 Grad.
Um 10.15 Uhr haben die meisten Menschen den Sperrkreis verlassen. Die Verwaltungsmitarbeiter wärmen sich auf dem Parkplatz der Feuerwache mit einer heißen Suppe oder einem Kaffee. Journalisten und Fotografen spekulieren gemeinsam mit Feuerwehrchef Wolfgang Hülsebeck darüber, wo man am besten sieht. Einige entscheiden sich für die Humboldtbrücke, andere wollen auf dem Schlauchturm der Feuerwache ihren Beobachtungsposten beziehen. Alle warten gespannt auf den großen Knall.
Kurz vor halb zwölf. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hat den Schlauchturm erklommen und blickt in die vermeintliche Explosionsrichtung. „Man sieht ja gar nichts“, sagt er, enttäuscht auf die Bäume am Ufer deutend. Hülsebeck hält Handykontakt mit Kunzendorf. Eine Person soll sich noch unerlaubt im Sperrkreis befinden – wieder heißt es warten.
Jemand findet ein Wort des Bedauerns für die Fische, denen die Detonation ein plötzliches Ende bescheren könnte. „Das nennt man auf ostfriesisch Angeln“, witzelt Jakobs. Um 11.54 Uhr wird die Freigabe zur Sprengung erteilt. Jetzt liegt es an Kunzendorf.
Der Knall zerreißt die Stille um 12.04 Uhr. Eine gewaltige Staubfontäne schießt in den Himmel, schraubt sich bis auf die Höhe des Heilig-Geist-Stifts. Der Schlauchturm erzittert, die Druckwelle bringt in der Innenstadt die Scheiben zum Vibrieren. Im GeoForschungsZentrum auf dem Telegrafenberg schlagen die Seismografen aus. „Coole Sache“, sagt Hülsebeck beeindruckt.
Mit Blaulicht-Konvoi rast Jakobs ans Nutheufer vis-á-vis vom Bahnhof, wo noch Brandgeruch in der Luft liegt. Kunzendorf wird umarmt, er bekommt den üblichen Präsentkorb – diesmal inklusive Schnorchel und Taucherbrille. „Das hat Nerven gekostet“, sagt der Sprengmeister, für einen Augenblick seine stoische Ruhe aufgebend. Dann geht’s zum Ort der Explosion. Strohbüschel hängen überall in den Bäumen, ein paar gesplitterte Äste liegen herum, in der Erde klafft ein breiter Riss. Alles ganz normal, beruhigt Kunzendorf, der erleichtert wirkt. „Der Druck ist jetzt weg.“
Gezündet hat er selbst – vom Bahnhof aus, in sicherer Entfernung. „So etwas gibt man sich nicht aus der Hand“, sagt Kunzendorf. Als er die Aufnahme sieht, die eine Kamera des RBB am Sprengort gemacht hat, ist selbst der erfahrene Sprengmeister beeindruckt. „Eine beachtliche Säule“, sagt er und Jakobs staunt: „Was da für Brocken herumfliegen!“ Ordnungsamtschefin Marina Kluge wirkt zufrieden. 85 Prozent aller öffentlichen Gebäude seien inzwischen auf Kampfmittel im Boden untersucht worden, sagt sie. Noch zwei Jahre, dann könnte man durch sein, bei den Waldflächen werde es wohl etwas länger dauern.
Während die Nuthe noch die Strohreste in die Havel schickt, rudern bereits zwei Angler den Fluss hinauf. „Den Fischen war es hier heute viel zu unruhig“, nimmt einer die Sorge, es könnte diverse schuppige Opfer gegeben haben. Doch jetzt muss die kiemenatmende Fauna aufpassen – die Angler spekulieren auf ihre Rückkehr: „Fische sind ja neugierig ...“
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