Landeshauptstadt: Eine, die sich kümmert
Bundesverdienstkreuz für sich Marie-Luise Strohbusch: 40 Jahre war sie Kirchenälteste und sie hilft, den Großen Refraktor zu retten
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Bundesverdienstkreuz für sich Marie-Luise Strohbusch: 40 Jahre war sie Kirchenälteste und sie hilft, den Großen Refraktor zu retten Von Guido Berg Die Schleiereule sitzt da wie ausgestopft. „Vorhin war sie noch woanders, sie lebt also noch“, stellt Marie-Luise Strohbusch fest. Das Vieh dämmert vor sich hin, im Halbschlaf blinzelt es die „Störenfriede“ gelangweilt an. Es wärmt sich das Gefieder an der Herbstsonne, das durch die Fenster in die Kuppel für den Großen Refraktor auf dem Telegrafenberg dringt. Das vermutet die rüstige Rentnerin jedenfalls. Aber ob das Tier von allein wieder raus findet, weiß sie nicht. Sie wird sich also kümmern müssen. Dass Marie-Luise Strohbusch eine ist, die sich kümmert, hat sich bis zum Bundespräsidenten herum gesprochen. Am 4. Oktober überreichte ihr Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz am Bande. Sie arbeitet seit seiner Gründung 1997 maßgeblich im Förderverein „Großer Refraktor Potsdam e.V.“ mit. In der Laudatio heißt es, „ihrem beharrlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass erhebliche finanzielle Mittel für den Großen Refraktor akquiriert werden konnten, die die Rekonstruktion dieses technisch und historisch bedeutenden Geräts ermöglichten“. Weiterer Grund für die Ehrung: 40 Jahre lang war Marie-Luise Strohbusch Kirchenälteste der Evangelischen Nikolaikirchengemeinde Potsdam – ein Ehrenamt. „So was ist doch nichts für uns“, erklärte ihr Mann und sie selbst hatte „ernsthaft überlegt“, ob sie die hohe Auszeichnung überhaupt annehmen soll. Soviel Aufhebens um ihre Person ist ihr unangenehm. Aber dann hat sie wiederum gedacht, da haben sich Menschen soviel Mühe gemacht, die Preisverleihung vorzubereiten. Also ist sie doch zum Schloss Charlottenburg gefahren. Doch wie kommt Marie-Luise Strohbusch überhaupt dazu, sich für ein sieben Tonnen schweres Sternenteleskop samt Gebäude einzusetzen? Die Geschichte ihres Lebens ist die Antwort. 1953 entfernt der DDR-Staat Christen aus den Universitäten. Marie-Luise Strohbusch muss die pädagogische Hochschule Potsdam verlassen. Walter Grotrian, der Leiter des Astrophysikalischen Observatoriums, ist auch Christ, er stellt die junge Frau ein, sie wird zur Fotolaborantin ausgebildet. Eine Vereinbarung zwischen Kirche und Staat hätte ihr die Rückkehr an die Hochschule ermöglicht, aber dann hätte sie als Lehrerin staatliche Positionen mittragen müssen – etwa im Streit um Konfirmation oder Jugendweihe. Das wollte sie nicht. Am Institut löst die Mutter zweier Töchter anfangs Sekretariatsaufgaben, übernimmt aber im Laufe der Jahre die unverzichtbare Funktion des „Mädchen für alles“. Fünf Zentner Braunkohle wurden benötigt, um das große alte Verwaltungsgebäude auf dem Telegrafenberg warm zu heizen. Sie weiß das, weil zu DDR-Zeiten das Personal knapp war und sie selbst Hand anlegen muss, damit es die Forscher warm haben. Ab 1968 wurde die DDR-Forschung nach ihrem volkswirtschaftlichen Nutzen hin abgeklopft. Die Beobachtung von Doppelsternen mit dem Großen Refraktor wurde eingestellt, die laufende Konservierung des Blechdachs der Beobachtungskuppel unterblieb. Es rostete durch. „Wir haben angefangen, das Regenwasser mit Eimern aufzufangen“, erinnert sie sich. Am Ende verhinderten 46 Badewannen die völlige Durchnässung des 1899 von Kaiser Wilhelm II. eingeweihten Gebäudes. Warum sie das noch so genau weiß, lässt sich denken: Marie-Luise Strohbusch hatte sich gekümmert und der Weg zum Kuppelsaal ist nicht unbeschwerlich. Die resolute Dame, die schon nach dem Krieg Trümmer aus der Nikolaikirche schleppte, fing nach der Wende an, Sponsoren für den Großen Refraktor zu suchen – und zu finden. Die Pietschker-Neese-Stiftung finanziert die Restaurierung des Linsenteleskopes, mit dem 1904 vor einhundert Jahren durch Johannes Hartmann die Entdeckung der interstellaren Materie gelang. Ende 2005 soll das Instrument aus Jena zurück und 2006 wieder einsatzfähig sein. Zur offiziellen Wieder-Einweihung des Großen Refraktors will Marie-Luise Strohbusch den Verdienstorden tragen. Und die Eule? Auf ihre telefonische Alarmierung hin kam ein Vogelkundiger vom Landesumweltamt und hat sie eingefangen. Er will ihr sie aufpäppeln und im Wald wieder freilassen. Marie-Luise Strohbusch klingt ganz zufrieden, als sie das erzählt. So wie: Wieder eine Arbeit erledigt. Eine ehrenamtliche.
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