Landeshauptstadt: Eine große Nuss namens Leipzig Martin Militz sammelt Bücher über Napoleon
Diese Nuss knackt er nicht. Das harte Ding ist viel zu groß für seinen Schlund.
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Diese Nuss knackt er nicht. Das harte Ding ist viel zu groß für seinen Schlund. Doch da steht er nun als Nussknacker, den Degen in der Hand, die monströse Walnuss im Mund, und gibt dabei ein ziemlich lächerliches Bild ab. Seine untersetzte Figur und der markante Dreispitz lassen gleich erkennen, wer er, der Nussknacker, wirklich ist: Napoleon Bonaparte, selbsternannter Kaiser der Franzosen. Und auch die unverdauliche Nuss kommt nicht von ungefähr: „Leipzig“ steht in feiner Schreibschrift auf der harten Frucht.
Diese Karikatur ziert den Einband des handlichen Buches „Die Völkerschlacht bei Leipzig in zeitgenössischen Berichten“ von Gerhard Graf. Das vor 25 Jahren erschienene Werk liegt auf dem Wohnzimmertisch von Martin Militz. Der 88-jährige Potsdamer hat sich das Buch, passend zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, derzeit als Lektüre vorgenommen. „Ein strategisches Genie – das war er, ohne Frage“, sagt Militz über Napoleon. Auch hätten die Franzosen damals hierzulande die Staatsverwaltung modernisiert. Dennoch verehre er Napoleon keineswegs. „Ich habe ja nun mehrere Diktaturen erlebt“, sagt der im pommerschen Rummelsburg geborene Militz. So könne er Herrscher wie Napoleon nicht einfach gutheißen, erklärt der Apotheker im Ruhestand. Der Franzose sei letztlich selbst ein Diktator gewesen.
Lange schon hat sich Militz mit Napoleon beschäftigt. Ihn, den Apotheker, habe zwar in seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit historischen Dingen vornehmlich die Geschichte der Pharmazie interessiert. Aber auch immer wieder besorgte er sich antiquarische Bücher zu anderen historischen Themen. So ließ sich Militz zu DDR-Zeiten die Kataloge des Leipziger Zentralantiquariats nach Potsdam schicken, um dort Bücher zu bestellen. Ende der 1960er-Jahre, berichtet der Apotheker, bekam er wieder einmal von den Leipziger Händlern ein Paket. Drinnen lag ein Buch, das in einem ziemlich erbärmlichen Zustand war: Der Einband total zerfleddert, der Inhalt hingegen total spannend. „Erinnerungsbuch für Alle, welche in den Jahren 1813, 1814, 1815 Theil genommen haben an dem heiligen Kampf um Selbständigkeit und Freiheit“, erschienen im Jahre 1817.
Inzwischen hat das historische Buch einen neuen blauen Einband. Militz hat es binden lassen. Das Werk liest sich wie ein Kriegstagebuch. Fast für jeden Tag findet sich darin ein Eintrag vom Kriegsverlauf. Für den 6. März 1813 ist ein Gefecht zwischen den Franzosen unter General Grenier und den Russen unter General Czernitscheff vermerkt. Bei Beelitz seien die Franzosen geschlagen und „bis nach Treuenbrietzen getrieben“ worden. Sie „verlieren an Todten und Verwundeten 347, an Gefangenen 162 Mann. Die Russen geben ihren Verlust auf 20-27 Mann an. Die Franzosen ziehen sich über Jüterbogh nach Wittenberg zurück“, heißt es dort.
Hatte Napoleon 1806 noch eine Nacht im Potsdamer Stadtschloss gewohnt und am Sarg Friedrichs des Großen in der Garnisonkirche gestanden, so waren seine Truppen nun sieben Jahre später nach dem verlorenen Russlandfeldzug auch in Preußen auf dem Rückmarsch. Die Nuss Leipzig besiegelte schließlich sein Schicksal. Militz’ Fazit zu Napoleon fällt eindeutig aus: Was der Franzose Europa gebracht habe? „Blut und Tränen.“HC
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