Landeshauptstadt: Eine neue Garnisonkirche
Zwischen Breiter und Yorckstraße, Kutschstall und Waisenhaus sollte ein riesiger Bau entstehen
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Friedrich Wilhelm IV., der fromme Romantiker auf dem Thron, hat in seiner Regierungszeit zwischen 1840 und 1861 nicht weniger als 300 Kirchen bauen oder erweitern lassen. Hätte er seine Ideen und Entwürfe vollständig umsetzen können, wären es weitaus mehr geworden. Sogar die drei Hauptkirchen seiner Residenzstadt Potsdam, die Garnison-, Heiligengeist- und Nikolaikirche, weckten seine Gestaltungslust. St. Nikolai bekam eine Kuppel und die vier Ecktürmchen mit den Engeln darauf, dank Schinkel und Persius eine gelungene Architektur. Die beiden anderen Umbauten blieben unausgeführt in der Mappe, die der König selbst „Luftschlösser“ betitelt hatte.
Doch das war 1832 und 1834 noch keineswegs abzusehen, als Ludwig Persius seine ersten Entwürfe für die neue Garnisonkirche vorlegen musste. In Friedrich Wilhelms Kopf geisterte diese Idee schon seit 1822, als der Kronprinz gerade mal 27 Jahre alt war. Die drei Stararchitekten des 19. Jahrhunderts Schinkel, Persius und Stüler, die nacheinander für Friedrich Wilhelm (IV.) arbeiteten, hatten es mit dem preußischen Herrscher keineswegs leicht. Sie bescheinigten seinen Skizzen und Entwürfen für neue Bauwerke zwar übereinstimmend eine hohe Qualität, mussten aber deren oftmals visionäre Maßlosigkeit auf eine (auch finanziell) realisierbare Größe zurückführen.
In seinem Garnisonkirchenprojekt wollte Friedrich Wilhelm den von Philipp Gerlach entworfenen, als Meisterwerk barocker Sakralbaukunst geltenden Glockenturm erhalten wissen, ebenso das alte Kirchenschiff als „Ruhmeshalle“ für den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und dessen Sohn Friedrich den Großen. Allerdings hätten sie mit ihren immerhin 3000 Plätzen nur einen bescheidenen Teil des gigantischen Neubaus ausgemacht. Die gesamte Plantage wäre Richtung Norden mit einer fünfschiffigen Basilika in frühchristlicher Formensprache bebaut worden. Manche Skizzen zeigen neben der Taufkapelle an der Yorckstraße sogar einen zweiten Glockenturm, der ebenso wie der erste gestaltet ist. In der Mitte des Trakts war ein als Eingang dienender Kuppelbau vorgesehen, auf den der Kronprinz auch in anderen Skizzen zurückkam. 1836 zeichnete er einen T-förmigen Grundriss. Diese Maximalvariante sah zusätzlich ein Querschiff in Ost-West-Richtung vor. Es hätte mit einem Atrium in Höhe des Kutschstalls am Neuen Markt begonnen und über mehrere kreisrunde Säulenhallen bis zum Altarraum westlich der Dortustraße geführt. Der Lange Stall einschließlich des bis heute erhaltenen Portalbaus von Unger aus dem Jahr 1781 hätte verschwinden, der Stadtkanal verlegt oder überbaut werden müssen. Selbst Abrisse im Karree des Gontardschen Waisenhauses wären erforderlich gewesen. Solch schwerwiegende Eingriffe in die historische Stadtstruktur waren für den König ungewöhnlich, denn in der Regel achtete er das von seinen Vorfahren überkommene bauliche und künstlerische Erbe. In diesem Fall, meint der Denkmalpfleger und Potsdamer Ehrenbürger Prof. Friedrich Mielke, obsiegte jedoch die „manische Besessenheit, das Stadt- und Landschaftsbild mit einer Vielzahl von Kirchen zu bereichern“. Noch in den 1850er Jahren kam der König gegenüber dem Nachfolger des 1844 verstorbenen Persius für das Kirchbauprogramm, August Stüler, auf die Erweiterungspläne zurück. Obwohl durch drei Schlaganfälle, die eine Störung des Sprachvermögens und der Begriffsbildung (Aphasie) nach sich zogen, gesundheitlich schwer geschädigt, hielt der König bis zum Tode an dieser Idee fest, die aber letztlich ein Luftschloss blieb. „Wir sagen heute: glücklicherweise“, kommentiert Friedrich Mielke. Dieses Glück hielt aber nur bis 1968 an. Dann ließ das SED-Regime die beim englischen Bombenangriff vom 14. April 1945 schwer beschädigte Kirche abreißen und den Glockenturm als „Symbol des preußischen Militarismus“ sprengen. Um den Wiederaufbau des Potsdamer Wahrzeichens bemüht sich eine Fördergesellschaft, die dafür 2007 eine Stiftung gründen will. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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