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Landeshauptstadt: Einen Moment selbstbestimmt

Firma Maltry hat sich in ihrer neuen Werkstatt auf die individuelle Anpassung von medizinischen Hilfsmitteln spezialisiert – um auf dem Markt zu bestehen

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Die lästige Fliege von der Nase verscheuchen oder das Licht anschalten – „unmöglich, wenn man am ganzen Körper gelähmt ist“, sagte Frank Leder, Rehatechniker bei Maltry. Es seien vor allem die Alltäglichkeiten, die im Krankheitsfall zu Herausforderungen würden. Seine Arbeit gebe den Patienten ein Stück Unabhängigkeit zurück, so Leder. Ein schwer Kranker werde immer auf fremde Hilfe angewiesen sein, betonte sein Chef, der Inhaber des Fachbetriebes für Rehabilitationstechnik, Ulrich Maltry. Mit entsprechenden Hilfsmitteln aber könne man einen Moment der Selbstbestimmung herstellen. Die Sonderanfertigungen werden in der jetzt eröffneten Sonderbau- und Orthopädiewerkstatt der Firma Maltry zusammengestellt, wie der Unternehmenschef gestern der Gesundheitsbeigeordneten Elona Müller zeigte. Er hatte die Stadtvertreterin zu einem Betriebsbesuch in die Großbeerenstraße eingeladen, in dem jetzt sieben Beschäftigte tätig sind. Auf insgesamt 1400 Quadratmetern sind hier die verschiedenen medizinischen Hilfsmittel in Wohnbereichen wie Küche, Wohnzimmer, Schlafstube ausgestellt und dienen als Beratungszentrum für Betroffene, aber auch für Kostenträger wie die Krankenkassen.

Die hinteren Räume hätten fast drei Jahre leer gestanden, sagt Ulrich Maltry. Mit den nun investierten 50 000 Euro seien vor allem für die Orthopädiewerkstatt wichtige Maschinen wie Trichterfräse und Bandschleifer angeschafft worden. In der Werkstatt werden Standardgeräte mit elektronischen Steuerungsmodulen so zusammengestellt, dass sie von Menschen mit starken körperlichen Einschränkungen bedient werden könnten. Beispielsweise gebe es Rollstühle, die nur mit dem Kinn zu steuern seien oder Schalter, die ausschließlich über Augenzwinkern betätigt werden. Der Fachbetrieb für Rehabilitationstechnik, der in Neuseddin außerdem eine Werkstatt mit 120 Mitarbeitern zur Herstellung von Standardhilfsmitteln betreibt, hat sich auf die individuelle Anpassungen des Rüstzeugs spezialisiert. Etwa vier solcher umfangreichen Beratungen habe sein Unternehmen im Monat, hinzu käme auch die Wartung der Geräte sowie die Neujustierung, sollte sich der Zustand des Kranken und damit seine Fertigkeiten verschlechtern.

Diese Dienstleistung sei ein Alleinstellungsmerkmal auf dem hart umkämpften Hilfsmittelmarkt, so der Betriebschef. Mit der jetzt eröffneten Orthopädiewerkstatt habe er sein Unternehmen zum „Vollanbieter“ komplettiert, sagte Maltry. So sei mit dem Einstellen eines Meisters für Orthopädietechnik jetzt auch die Fertigung von Orthesen und Prothesen möglich. Damit trete man in den direkten Wettbewerb mit den Orthopädiewerkstätten des Oberlinhauses und dem Sanitätshaus Kniesche in der Innenstadt, gibt Geschäftsinhaber Maltry unumwunden zu. „Und wir haben – auch zu unserem Erstaunen – schon Aufträge“.

Mit dem im April in Kraft getretenen Wettbewerbsstärkungsgesetz stehe man als Hersteller von Rehabilitationstechnik unter noch höherem Druck. Seitdem nämlich würden die Standardleistungen wie Rollator, Gehilfe oder Inkontinenzprodukte regional ausgeschrieben. Dadurch habe ein „gnadenloser Preiskampf“ begonnen. Den Zuschlag bekomme der günstigste. Viele besonders kleine Betriebe beteiligten sich deshalb schon nicht mehr an den Ausschreibungen, weil sie bei den Niedrigpreisen nur draufzahlen würden, erklärt Maltry. Tatsächlich müsse man aber mindestens einmal Ausschreibungsgewinner sein, um überhaupt Vertragspartner der Leistungsträger zu bleiben. Fliege man aus dem System raus, sei dies der sichere Ruin für das eigene Unternehmen. Als mögliche Lösung zur Auftragssicherung schlug die Gesundheitsbeigeordnete deshalb eine lokale Vernetzung der Patientenstationen vor, zu denen auch die Ausstattung mit Hilfsmitteln gehöre.

Nicola Klusemann

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