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Landeshauptstadt: Einsatz mit Heck

Ein TV-Quizmaster sorgte für außergewöhnliches Wende-Abenteuer des Potsdamer Karnevalsclubs

Am 11. November 1989 bewegte sich der Potsdamer Karnevalszug wie alljährlich Richtung Stadthaus, um dem Oberbürgermeister den Stadtschlüssel abzufordern. Dem etwa 70-köpfigen Zug, der als Demonstration angemeldet werden musste, war die Route vorgeschrieben. Er wurde von einer Polizeieskorte begleitet. Doch die tauchte an diesem Tag nicht auf. Also wies Kutscher Willi Hildebrandt am Platz der Einheit mit der Peitsche nach rechts, und der Narrenzug schwenkte Richtung Glienicker Brücke ab. Damit begann für den Potsdamer Karnevalsclub (PKC) ein Wende-Abenteuer, an das sich der damalige Präsident Rolf Gümpel auch nach 20 Jahren noch gern erinnert.

Nach dem Mauerfall war die Grenzbrücke zu West-Berlin am Abend zuvor freigeben worden, aber der lustige Zug kam kurz davor zum Stehen. Einige Musiker, die ihr Brot in Armee- oder Polizeikapellen verdienten, trauten sich nicht weiter. Was würden ihre Dienstherren zu solch einem Ausflug sagen? Doch bald stand der bunte Haufen mitten auf der Brücke. Schon wurde der Bahnhof Wannsee, wohin an diesem Tag Zehntausende pilgerten, als Ziel ins Auge gefasst, doch dann schlug den preußischen Karnevalisten das Gewissen. Sollte die Schlüsselübergabe ins Wasser fallen? Kehrt Marsch, und der Zug erreichte noch rechtzeitig das Stadthaus mit dem auf der Treppe wartenden Oberbürgermeister.

Auch am Abend siegte die Disziplin. Zur Gala im RAW-Klubhaus waren alle Mitwirkenden erschienen, keine Nummer musste ausfallen. Nur im Publikum der eigentlich ausverkauften Veranstaltung klafften Lücken. Etwa die Hälfte der Kartenkäufer hatte der „karnevalistischen Weltreise, wie das Programm hieß, die Fahrt nach West-Berlin vorgezogen. Für Rolf Gümpel und seine Frau Gabriele wurde es 2 Uhr, ehe auch sie auf dem Ku’damm standen.

Damit war das Abenteuer jedoch keineswegs zu Ende. Am Montag darauf wurde Gümpel in seiner Arbeitsstelle in Michendorf ans Telefon gerufen. Das ZDF wolle den PKC-Präsidenten sprechen. Das ginge ja nun wirklich nicht, dass „bei uns einfach das Westfernsehen anruft“, erklärte der noch amtierende SED-Parteisekretär. Der Karnevalist indes vernahm erstaunt und dann hocherfreut, sein Club solle in der ZDF-Quizshow „Ihr Einsatz bitte!“ mitwirken.

Da fuhren sie dann auch hin, etwa 25 Potsdamer Narren, von denen sich zwei im Wettstreit mit einer Frauenturnriege aus Kirchheim am Neckar den Fragen des Quizmasters Dieter Thomas Heck stellen sollten. Schnell zeigte sich, dass der Auftritt keineswegs als närrische Angelegenheit gedacht war. Vielmehr mussten knifflige Fragen aus Politik, Wirtschaft und Kultur beantwortet werden – die beiden PKC-Kandidaten unterlagen den Turnerinnen vom Neckar. Das allerdings war zu verschmerzen, denn es gab einen Trostpreis von 4500 D-Mark.

Doch damit nicht genug: Bei Schmalzstullen und Bier nach der Sendung lud Dieter Thomas Heck die Potsdamer zu seinem Geburtstag nach Baden-Baden ein. Am 6. Januar 1990 begann eine Reise mit vielen interessanten Stationen: Begegnungen mit den Mainzer Hofsängern, alemannischen Fastnachtsbräuchen und Prominenten wie Jockel Fuchs oder Camillo Felgen. Auch Rolf Gümpels Eintragung „als kleinstes Licht“ ins Goldene Buch von Baden-Baden und ein Essen im vornehmen „Stahlbad“ gehörten dazu. Selbst als für Rolf und Gabriele Gümpel längst wieder der Alltag eingezogen war, kam aus dem nahem Berlin manchmal noch ein Anruf von Dieter Thomas Heck: „Wir sitzen hier im ... Wollt Ihr dazukommen? Zum „Zehnjährigen“ gab es sogar ein Erinnerungstreffen in größerer Runde.

Inzwischen verblassen die Erinnerungen. Doch zum Bürgerfest auf der Glienicker Brücke am 10. November 2009 ging Rolf Gümpel mit der Karnevalsfahne von 1989. Davon nahm kaum jemand Notiz. Auch beim PKC spielt das Jubiläum des Wende-Abenteuers keine Rolle. Das jüngste Programm trägt den Allerweltstitel „Show mal an!“. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

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