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Homepage: „Einstein hasste Fachidioten“

Die Direktorin des Einstein Forums, Susan Neiman, über den Einfluss Einsteins auf die Geistesgeschichte

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Die Direktorin des Einstein Forums, Susan Neiman, über den Einfluss Einsteins auf die Geistesgeschichte Frau Neiman, wenn Künstler oder Geisteswissenschaftler von Albert Einsteins Relativitätstheorie reden, erscheint dies oft recht hilflos. Man erhält den Eindruck, sie tun dies in etwa, wie Einstein selbst Geige gespielt hat. Neiman (lacht): Ich glaube, er hat wesentlich besser Geige gespielt, als die meisten Geisteswissenschaftler über die Relativitätstheorie Bescheid wissen. Dennoch: Marcel Proust etwa fühlte sich durch den Vergleich seines literarischen Werkes mit Einsteins Theorien über Raum und Zeit mehr geschmeichelt als durch den Vergleich mit der Philosophie Henri Bergsons. Wie groß ist Einsteins Einfluss auf Kunst und Geistesgeschichte? Das ist umstritten. Alle reden bis heute von Einstein. Er selbst war der Meinung, dass sein wissenschaftlicher Einfluss auf die Künste nicht besonders groß war. Zu der Zeit, in der er die Relativitätstheorie entwickelte, waren die Begriffe von Raum und Zeit stark in Bewegung geraten. Außerdem wurde bereits sehr viel über Einstein und seine Theorien geredet. Das spiegelt sich natürlich in der zeitgenössischen Kunst und Literatur wider. Trotzdem sind Sie heute als Philosophin, als Geisteswissenschaftlerin, Leiterin einer Einrichtung, die nach dem Naturwissenschaftler Einstein benannt ist. Sehen Sie darin den Gedanken Einsteins, eine Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu schlagen, verwirklicht? Auf jeden Fall. Einstein hasste die Fachidiotie und war bereit, sich zu Themen zu äußern, auf denen er kein Experte war und plädierte auch für eine engere Zusammenarbeit zwischen Philosophie und Naturwissenschaft? Ja, er war auch mit vielen Literaten befreundet. Aber ich glaube nicht, dass jemand wie Proust die Relativitätstheorie studiert und verstanden oder sogar in seinen Roman eingearbeitet hat. Was fasziniert an Einstein, wenn nicht seine Theorien? Es war eher seine Persönlichkeit, die seinen enormen Einfluss begründete. Er war Außenseiter und als Wissenschaftler ging er keine ausgetretenen Wege. Er war frech, mutig, unkonventionell und politisch engagiert. Und er war unprätentiös, hasste Hierarchien. Einstein hielt auch nicht viel von den formellen wissenschaftlichen Kreisen, obwohl er von diesen immer wieder geehrt wurde. Dennoch war er natürlich Genie und Nobelpreisträger. Er war ein Star der Wissenschaft. Hat Einstein Sie in ihrer philosophischen Arbeit beeinflusst? Nein. Ernsthaft habe ich mich erst mit Einstein beschäftigt, als ich zum Einstein Forum kam. Da war ich aber schon erwachsen und hatte bereits ein paar Bücher hinter mir. Einstein-Forscherin bin ich jedoch keine geworden. Als Pazifist, Sozialdemokrat und vor allem als Jude sah sich Einstein seit den 20er Jahren trotz internationaler Anerkennung immer häufiger Anfeindungen ausgesetzt. Zweifeln Sie als Philosophin, die sich in der Tradition Immanuel Kants sieht, aufgrund seines Schicksals am Projekt der Aufklärung? Warum sollte ich das? Ich glaube nicht, dass sein Schicksal Anlass dazu gibt, an der Aufklärung zu zweifeln. Einstein hatte ja selbst alle Eigenschaften eines Aufklärers – und als solcher hat er sich selbst durchaus begriffen. Natürlich zog er damit die Kräfte der Reaktion, der Gegenaufklärung, auf sich. Weder die Nazis, noch – ohne dies gleichzusetzen – die rechten Kräfte in Amerika während der McCarthy-Ära vermochten, ihn daran zweifeln zu lassen. Einstein war ein Held der Aufklärung. Wie erwähnt, wurde Einstein wiederholt angegriffen, weil er Jude war. Ist er nur durch den Antisemitismus auf sein Judentum gestoßen worden? Nein. Ungefähr im zwölften Lebensjahr durchlebte er eine tief religiöse Phase, in der er sogar religiöse Gedichte verfasste. Als er älter wurde, wandelte sich seine Religiosität eher zum Glauben an einen spinozistischen Gott. Sein Elternhaus war assimiliert, aber nicht konvertiert. Er war sich seines Judentums also durchaus bewusst. Er setzte sich nicht nur für jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa, sondern bereits sehr früh für einen jüdischen Staat ein. So war seine erste Amerikareise 1921 eine Sponsoringreise für die Hebräische Universität in Jerusalem. Da war er bereits ein Weltstar. Weil er aber sehr universalistisch war, setzte er sich von Anfang an für die Rechte der in Palästina lebenden Araber ein. Durch den Antisemitismus, der natürlich schon lange vor den Nazis da war, wurde das Bewusstsein, Jude zu sein auch bei ihm natürlich noch verstärkt. Einstein und viele seiner Kollegen wurden nach 1933 aus Deutschland vertrieben. Fürchten Sie, dass Ihnen heute etwas Ähnliches passieren könnte? Nein. Ich glaube nicht, dass sich die Geschichte so wiederholt. Allerdings fühlten sich die Juden in der Weimarer Republik auch sehr sicher. Aber selbst wenn mich die stärker werdenden rechten Kräfte in Deutschland und anderswo beunruhigen, hoffe ich, dass die Reaktion der Bürger stark genug sein wird, sich ihnen entgegenzustellen. Sie wurden in dem Jahr geboren, in dem Einstein gestorben ist. Hätten Sie ihn gern einmal getroffen? Zunehmend gern. Je mehr ich mich mit Einstein beschäftige, desto mehr schätze ich ihn. Was würden Sie ihn fragen, wenn Sie sich mit ihm unterhalten könnten? Sehr viel. Das würde ein langes Gespräch. Das Gespräch führte Moritz Reininghaus Susan Neiman ist Direktorin des Einstein Forums. Sie wurde in Atlanta (Georgia/USA) geboren und war Professorin für Philosophie an der Yale Universität und der Tel Aviv Universität.

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