Eine öffentliche Verführung: Einstein-Symposium zu Liebesliedern
Schon im Vorfeld des Symposiums „Herztöne“ hatte der Potsdamer Wissenschaftler und Philosoph Rüdiger Zill erklärt, die Liebe wäre ein so großes Thema, dass man ihm nicht nur eine Veranstaltung widmen könnte. So standen in der von ihm mitbegründeten Reihe „Passions in Culture“ diesmal die Inszenierungen der Liebe in der populären Musik im Zentrum.
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Schon im Vorfeld des Symposiums „Herztöne“ hatte der Potsdamer Wissenschaftler und Philosoph Rüdiger Zill erklärt, die Liebe wäre ein so großes Thema, dass man ihm nicht nur eine Veranstaltung widmen könnte. So standen in der von ihm mitbegründeten Reihe „Passions in Culture“ diesmal die Inszenierungen der Liebe in der populären Musik im Zentrum. Wenn nicht zum Retten der Liebe, welche Funktionen besitzen Liebeslieder sonst, die unsere Gefühle tiefer als andere ergreifen können, lautete die kritische Frage.
Frei nach der Sentenz von Marshall Mc Luhan „Das Medium ist die Botschaft“ ging es in Zills Vortrag weniger um die Botschaft als um die Botengänge von Love Songs. Im Jahr 2008 kandidierten fünf Lieder um den Oscar für den besten Song, darunter allein drei aus der Disney-Produktion „Enchanted“. Doch nicht die hochglänzenden Songs aus dieser märchenhaften Film-Burleske gewannen den Preis. Der Oscar ging an den Song „Falling Slowly“ aus dem Independent-Film „Once“, einem krassen Außenseiter mit „größtmöglicher Disneyferne“. Dieser in drei Wochen mit geringem Budget gedrehte Film im Stil des britischen Sozialrealismus erzählt von einer unerfüllten Liebesgeschichte zwischen einem irischen Straßenmusiker und einer als Putzfrau arbeitenden jungen Polin, die zugleich ausgebildete Pianistin ist. Gleich zu Beginn üben die beiden ihren Lovesong gemeinsam ein. Mit solch radikalem Understatement, so holprig und spröde wie in dieser Szene ist wohl kaum ein Lovesong im Film inszeniert worden.
Da wir aber alle „für die Geigen sehr anfällig sind“, wie Zill ironisch behauptete, gibt es bald eine Version mit schmelzenden Streichern im Breitwandsound. Sie erscheint in der Musical-Version des Films so pathetisch und überwältigend, wie man es von Broadway-Produktionen kennt. Schon bald wird aus dem Lied ein Selbstläufer, der in unterschiedlichen Versionen in Internet, Fernsehen und auf Festivals kursiert. Der Clou ist, dass aus den beiden Hauptdarstellern, die tatsächlich Musiker sind, ein echtes Liebespaar wurde, das mit diesem Song im Gepäck Konzerttourneen und einen Dokumentarfilm gemacht hat. Die Ausgangsfrage muss daher im Vexierspiegel von Inszenierung und Realität, von Kunst und Wirklichkeit bejaht werden. Was gar nicht so neu ist, denn schon die alten Philosophen wussten, dass Musik der Liebe Nahrung ist.
Vom Privaten ins Politische wechselte der luzide Vortrag von Elisabeth Bronfen mit dem Titel „Liebeslieder an die Nation“. Die deutsch-amerikanische Kulturwissenschaftlerin zeigte am Beispiel von Filmen mit Zarah Leander und Marlene Dietrich, wie Liebeslieder als Gesten einer öffentlichen Verführung fungieren. Ihr zufolge bindet der Gesang im Film die Zuschauer stärker ein als Worte und Bilder. Beim Austausch der Gefühle durch das Medium der Musik entsteht so ein utopisches Moment in der Gemeinschaft mit den Zuschauern. Die Beziehung zwischen dem Liebespaar auf der Leinwand findet ihre Analogie in dem Verhältnis zwischen Subjekt und Nation. Wie dies funktioniert, erklärte Bronfen am Beispiel von Zarah Leanders elegischem Lied „Ich steh im Regen und warte auf Dich“ aus dem Film „Zu neuen Ufern“ (1937). Nicht zufällig wird es in einer Szene ironisch „Grabgesang“ genannt. Die Inszenierung von Leid im Liebeslied stimme die zukünftigen Mütter, Töchter, Frauen und Geliebten der Soldaten auf den Krieg ein. Von dieser affektiven Macht des Lieds im Film, die Bronfen als „Heimsuchung durch das kulturelle Imaginäre“ bezeichnete, kündet auch das Lied „Lily Marlen“. Das von Goebbels verbotene Lied wurde zum Signature-Song von Marlene Dietrich, die es als überzeugte Antifaschistin vor alliierten Soldaten sang.
Babette Kaiserkern
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