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Homepage: Eltern im Hörsaal

Wissenschaftlicher Rat in Erziehungsfragen: Erste Elternuniversität an der Fachhochschule

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Unsozial, gewaltbereit, kriminell, in jeder Beziehung verhaltensauffällig – das wären die Attribute, die man Kindern wie Max und Moritz heute zuweisen würde. „Wo aber“, fragt Prof. Rita Marx, „waren eigentlich deren Eltern?“

Als die Erziehungswissenschaftlerin an der Fachhochschule Potsdam am vergangenen Wochenende den Eröffnungsvortrag zur 1. Brandenburgischen Elternuniversität hielt, brauchte sie sich über eine fehlende Elternschaft nicht beklagen. Bis auf den letzten Platz war der Hörsaal gefüllt. Das Interesse war riesengroß, sich zu Erziehungsfragen auszutauschen und Fachwissen einzuholen.

Hatte Wilhelm Busch einst Mutter und Vater der bösen Buben einfach unterschlagen, so sind die Schuldigen heutiger Bildungs- und Erziehungsdefizite schnell ausgemacht: die Eltern. Sie seien nicht mehr in der Lage, ihre Kinder richtig zu erziehen, markiert Rita Marx das gängige Vorurteil. Es fehle ihnen an Bildung und kommunikativer Kompetenz. Immer mehr Kinder und Jugendliche seien frech, aggressiv, respektlos, nicht leistungsfähig, unkonzentriert, bewegungsfaul und medienbesessen, klagen vor allem die Lehrer. Umgekehrt schimpfen Eltern über eine überalterte und resignierte Lehrerschaft.

Rita Marx sieht den Schlüssel zur Überwindung gegenseitiger Schuldzuweisungen in einer verbesserten Kooperation von Elternhaus und Schule. So beschreibt sie die oft nicht einfache soziale und berufliche Situation von Müttern und Vätern einerseits und andererseits die unterschiedlichen Druckverhältnisse, unter denen Lehrer ihre Arbeit leisten. Sie wirbt für mehr Verständnis, für einen gelegentlichen Perspektivwechsel, das probeweise Hineinversetzen in die Rolle des jeweils anderen. Sie appelliert an die Eltern, ihre Mitwirkungsrechte stärker in Anspruch zu nehmen, auch mal im Unterricht zu hospitieren, Elternversammlungen selbst zu initiieren, dort nicht nur organisatorische Belange, sondern brisante Erziehungsprobleme zu diskutieren und gegebenenfalls Experten als Referenten hinzu zu bitten.

Petra Brückner, Sprecherin des Landeselternrates, zeigt, wie es funktionieren kann. Sie war es, die die Initiative zur ersten Elternuniversität ergriffen hat und mit dem Bildungsministerium, dem Institut für Fortbildung, Forschung und Entwicklung, dem Volkshochschulverband und der Potsdamer Fachhochschule kompetente Partner ins Boot holte. So standen für die Workshops der Elternuniversität eine Vielzahl von Fachleuten bereit. Die hier beackerten Konfliktfelder reichten von unerledigten Hausaufgaben über aggressives Verhalten und Drogenkonsum im Jugendalter bis zum richtigen Umgang mit heimlichen Miterziehern wie Computer und Fernsehen. In der Pubertät, wenn Freunde wichtiger werden als die Eltern, stehen Mütter und Väter oft vor ungeahnten Herausforderungen. Auch hierzu konnte die Eltern-Uni Lösungsansätze liefern.

Eine erprobte Institution für das Verhandeln innerfamiliärer Konflikte ist zum Beispiel der Familienrat, den Sylvia Ludwig und Margaritha Schmittel in ihrem Workshop vorstellten. Als Mütter mehrerer Kinder haben sie sich zu Elternberaterinnen ausbilden lassen und vermitteln nun Fachwissen, angereichert mit eigenen Erfahrungswerten. Wie anfangs bei ihren eigenen Kindern, kam im Workshop auch bei den Eltern Skepsis auf, ob es denn funktionieren kann, sich einmal in der Woche in einem Familienrat zu versammeln, völlig gleichberechtigt nach vereinbarten Kommunikationsregeln und einer gemeinsam festgelegten Tagesordnung Fragen des Zusammenlebens zu diskutieren und Beschlüsse zu fassen. Die beiden Mütter aber machten Mut: Je jünger die Kinder sind, desto leichter lernen sie, dem anderen zuzuhören, ihn ausreden zu lassen, sich in seine Lage zu versetzen, im Konfliktfall nicht Schuld zuzuweisen, sondern von der eigenen Befindlichkeit zu sprechen und gemeinsam nach Kompromissen zu suchen. Was im Familienkreis an kommunikativer Kompetenz erworben wird, nehmen Eltern und Kinder mit hinaus in ihren Alltag, wissen die beiden Frauen.

Auf eines jedoch haben sie noch keine Antwort gefunden. Wie erreichen sie mit ihren Workshops jene Eltern, die nicht aus eigenem Antrieb auf sie zu kommen, die selbst kaum in der Lage sind, ihre Erziehungsprobleme zu artikulieren und den Rat nicht suchen, den sie so dringend benötigen? Auch die Schule findet kaum Zugang zu sozial belasteten Eltern, die sich aus Angst und Scham häufig zurückziehen würden, hatte Rita Marx in ihrem Vortrag festgestellt.

Sollte die Elternuniversität fortgesetzt werden, was viele der hochzufriedenen Besucher hoffen, dann wird sie sich in Zukunft verstärkt auch diesem Problem widmen müssen.

Antje Horn-Conrad

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