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Landeshauptstadt: Eltern können mit Beratung rechnen
Potsdam will Familien mit Legasthenie- und Dyskalkuliekindern besser über Lerntherapien informieren
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Die Stadtverwaltung Potsdam will Eltern von Kindern mit einer Lese-Rechtschreib-Störung oder einer Rechenschwäche besser beraten. Ab März können sich betroffene Familien einmal monatlich bei Verdacht auf Legasthenie oder Dyskalkulie ihrer Kinder in einer Sprechstunde informieren, etwa in welchen Fällen das Jugendamt die Kosten einer Lerntherapie übernimmt. „Wir nehmen wahr, dass die Gesetzeslage schwierig ist“, sagte Elona Müller-Preinesberger, Beigeordnete für Soziales und Jugend. Das Angebot richte sich deswegen an „Eltern, die ein Informationsbedürfnis haben“. Man wolle „pro aktiv auf die Eltern zugehen“ und das Angebot bewusst offen gestalten. Eventuell soll auch ein Mitarbeiter des staatlichen Schulamts miteinbezogen werden. „Wir wissen, dass wir den größten Mehrwert haben, wenn wir frühzeitig auf die Lernschwäche reagieren.“ Auch will die Stadt die Zusammenarbeit mit den Schulen verstärken und Kontakt zu den Elternbeiräten der Schulen aufnehmen.
Hintergrund der Vorstellung des neuen Angebots sind Berichte von Eltern und Lerntherapeuten, die Stadt würde in immer weniger Fällen eine Lerntherapie bezuschussen (PNN berichteten). Den Vorwurf, die Stadt spare an den Hilfen, wollte Müller-Preinesberger nicht gelten lassen: „Ich verwahre mich davor, dass wir zulasten von Eltern und Kindern einen Sparkurs fahren.“ In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Bewilligungen allerdings kontinuierlich gesunken. „Eine Erklärung wäre, dass die Schule mehr tut“, so die Sozialbeigeordnete.
In der Tat können Legastheniker oder Dyskalkuliker einen sogenannten Nachteilsausgleich bekommen, sie werden etwa vom Notendruck entlastet. Zudem erhalten sie in der Schule Förderunterricht. Eltern berichten aber, dass die Stunden häufig ersatzlos ausfielen. Selbst wenn sie stattfinden, reicht das Wissenschaftlern und Lerntherapeuten zufolge nicht aus: „Wenn eine medizinische Diagnose auf Dyskalkulie vorliegt, ist die Schule damit überfordert“, sagt Jörg Kwapis vom Zentrum zur Therapie für Rechenschwäche (ZTR). Vor allem eine individuelle Lernbegleitung durch speziell ausgebildete Pädagogen ist selten gegeben. Auch der Kinder- und Jugendpsychologe der Universität Potsdam, Günter Esser, sagt: „Die Schulen sind dazu gar nicht in der Lage. Es geht um Kinder, die schwer beeinträchtigt sind.“
Damit diese Kinder eine Therapie bezahlt bekommen, so verlangt es das Sozialgesetz, muss allerdings neben der Diagnose einer Lernschwäche auch eine seelische Behinderung vorhanden sein oder drohen. Diese muss nachweislich mit der Lernstörung im Zusammenhang stehen. Doch das sei schwierig einzuschätzen, räumt Sozialbeigeordnete Müller-Preinesberger ein. „Die seelische Behinderung ist so schwierig abzubilden.“ Die Verwaltung hat ihrer Meinung nach nur ein „kleines Fenster“, um rechtssicher Anträge zu bewilligen. „Wir haben keinen Ermessensspielraum“.
Das sehen Experten wie Psychologe Esser und Lerntherapeut Kwapis anders: „Die unklaren gesetzlichen Regelungen werden seit einigen Jahren sehr restriktiv ausgelegt“, sagt Esser. „Das entspricht nicht der Auffassung der Wissenschaft.“ Das Problem sei gravierend geworden, da viele Eltern sich eine Therapie, die rund 300 Euro monatlich kostet und in der Regel über zwei Jahre dauert, nicht leisten können. „ Die Zahl der Kinder, die eine Therapie beginnen, ist deutlich zurückgegangen. Nur die schwersten Fälle kommen“, sagt Esser, der auch die psychologisch-psychotherapeutische Ambulanz der Universität Potsdam leitet.
Jörg Kwapis vom ZTR überlegt indes weiter, wie die Situation für die betroffenen Familien verbessert werden kann. „Das Thema muss auch auf Landesebene diskutiert werden.“ Schließlich wäre es wünschenswert, wenn die Kinder in der Schule therapiert werden würden. Doch dazu müssten auch die Schulstrukturen verändert werden.
Melanie Winter, Mutter der zehnjährigen Emma-Marie begrüßt das Angebot der Stadt: „Das hätte ich sehr gern in Anspruch genommen.“ Ihr Antrag auf Kostenübernahme einer Therapie wurde abgelehnt. Sie hat Widerspruch eingelegt.
Grit Weirauch
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