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Landeshauptstadt: „Eltern müssen mehr für ihre Kinder präsent sein“ Bildungsexperten Frauke Hildebrandt und Mathias Schreckenbach über die diesjährige Elternuni

Mathias Schreckenbach ist diplomierter Sozialpädagoge und lehrt seit 1991 an der Fachhochschule Potsdam. Schreckenbach ist Koordinator der 5.

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Mathias Schreckenbach ist diplomierter Sozialpädagoge und lehrt seit 1991 an der Fachhochschule Potsdam. Schreckenbach ist Koordinator der 5.Brandenburger Elternuni.

Herr Schreckenbach, das Motto der 5. Elternuni lautet: „Kinderwelten, Elternwelten, fremde Welten“. Warum fremd?

Wir haben uns für dieses Motto entschieden, weil wir schauen wollten, wo liegen eigentlich die Konflikte in den Familien. Wir haben uns auch an den Fragestellungen von Eltern der letzten Jahre orientiert. Gerade in Zeiten der Pubertät und der Verselbständigung werden die Welten fremder. Das ist gar nicht so schlimm, wenn man immer wieder auch den Raum findet, wo man auch das Gemeinsame definiert. Jeder hat auch seine eigenen Bereiche – das Kind weiß schon, was gut für ihn ist und wir als Eltern haben vielleicht eine ganz andere Welt vor Augen als die Kinder sie sehen. Und diese Welten wollen wir zusammenführen.

Frau Hildebrandt, als Professorin für Bildung und Erziehung an der Fachhochschule Potsdam werden Sie am Samstag den Eingangsvortrag zu frühkindlicher Bildung halten. Sie haben ihn betitelt mit Stärken stärken, Schwächen schwächen. Das klingt recht einfach. Ist es das?

Wenn man weiß, wie es geht, ist es einfach. Man muss bestimmte Methoden kennen, man kann eine bestimmte Haltung entwickeln, dann geht das ganz gut.

Welche Haltung empfehlen Sie denn?

Sie müssen als Erstes beobachten: Wenn Sie sich orientieren an den aktuellen Bildungs- und Lerntheorien, müssen Sie schauen, wo ist das einzelne Kind, was tut es, was interessiert es. Und Sie müssen wegkommen von der Idee, dass es Ziel ist alle auf einen Stand zu bringen. Das ist noch ganz stark verkörpert – sowohl in den Köpfen der Eltern als auch der Pädagogen. Ziel sollte es sein, jeden individuell optimal herauszufordern.

Was heißt das für Eltern?

Die Hauptsache ist zunächst erstmal Druck von den Kindern abzuwehren. Alle haben Druck; auf die Schulen, die Pädagogen und die Eltern wird Druck ausgeübt. Den geben sie an die Kinder weiter. Das erzeugt Angst und Angst wirkt lernhemmend. Dazu muss man sich selber anschauen, was erwartet man eigentlich von sich, wie sieht man sich, welche Erwartungen hat man an seine Kinder? Und man sollte wissen, wie Kinder gut lernen. Ideal wäre, wenn Eltern ihre Anspruchsvorstellungen reflektieren und mit sich kritisch ins Gericht gehen.

Und wie lässt sich nun individuell fördern?

Schon im Spracherwerb kann man das gut sehen: Stellen Sie sich vor, Sie haben ein einjähriges Kind auf dem Schoß, es spielt mit dem Stift und dreht sich zu Ihnen um. Kinder von Müttern, die in diesem Moment in den Fokus des Kindes gehen, es bestätigen und den Fokus erweitern: „Ja, guck mal, das ist mein Stift, damit kann ich schreiben“, erweitern ihren Wortschatz schneller als Kinder von Müttern, die denken, „Ein Glück, das Kind hat den Stift, dann kann ich ja telefonieren“ oder sagen: „Nee, der Stift ist keine Bildungsgelegenheit, den leg mal weg, guck mal hier ist ein Buch, schau, die Kuh, die macht muh“. Es braucht aber Zeit für solche Interaktionen.

Daran scheint es ja immer zu fehlen.

Ja, das ist wirklich nicht sehr berauschend. Der Neurobiologe Gerald Hüther bezieht sich auf eine Statistik, wonach wir in Deutschland europaweit Schlusslicht sind, was die Interaktion zwischen Kind und Familie betrifft. Raten Sie mal, wieviel Zeit an Dialog pro Tag in einer Familie pro Kind stattfindet? Und zwar ohne Ansagen zu machen, sondern nur um miteinander zu reden?

Zwanzig Minuten?

Acht Minuten pro Kind. Es geht darum, dass Eltern innerlich da sind, vielleicht auch nur mal kurz präsent sind, und nicht in eigenen Gedanken weggehetzt.

Worauf führen Sie diese fehlende Kommunikationskultur zurück?

Ich habe in Fortbildungen erlebt, dass Erzieher oder Lehrer mir gesagt haben, am Abendbrottisch reden wir nur darüber, was wir am nächsten Tag machen. Man redet hierzulande viel darüber, was getan werden muss, was ansteht.

Auch mit den Kindern wird viel Organisatorisches besprochen?

Auch mit den Kindern. Von dieser Sorte „Interaktion“ erleben Sie täglich viel: Etwa 80 Prozent der Sprechhandlungen in Kitas sind freundliche Ansagen. Das sind natürlich keine Aufforderungen zum Dialog oder um die Weltsicht zu teilen.

Ihre Botschaft ist, miteinander zu reden?

Die Botschaft soll sein, weniger ist mehr. Sie brauchen als Eltern nicht von A nach B zu fahren, um ihre Kinder zu bespaßen, zu fördern. Mindestens so wichtig ist es, sich mit dem Kind hinzusetzen und sich zu unterhalten, in Kontakt zu kommen.

Herr Schreckenbach: Wie ist die Resonanz auf die Elternuni in diesem Jahr?

Die Resonanz ist riesig – weit über die konzipierte Anmeldungszahl schon hinaus. Die Workshops sind meist übervoll. Ein Teil der Eltern kommt regelmäßig, dadurch wird über Mundpropaganda ins ganze Land gestreut. Wir wollen gemeinschaftlich über bestimmte Bildungsfragen diskutieren – unter Anleitung von Hochschuldozenten. Das ist der Charme der Elteruni. Es geht um das Dialogische in den Gruppen. Das macht einfach viel Spaß.

Der Workshop „Eltern mischen sich ein“ ist bereits ausgebucht. Das Thema scheint den Eltern ja unter den Nägeln zu brennen.

Ein Grund ist, dass der Landeselternrat sehr viel Werbung macht und die Elternuni auch organisiert hat. Dass sich Eltern einmischen ist gut, und sie erhoffen sich von dem Workshop noch methodisches Handwerkszeug, auch rechtliche Rahmenbedingungen.

Können Interessierte auch spontan am Samstag zur Elternuni kommen?

In einigen Workshops sind noch freie Plätze, wir werden am Samstag niemanden nach Hause schicken, der noch kurzfristig in die Elternuni will.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

Die 5. Brandenburgische Elternuniversität am 16. November 2013, von 9 bis 17 Uhr in der Fachhochschule Potsdam, Friedrich-Ebert-Str. 4 statt. Mehr Informationen unter www.elternuni.net

Frauke Hildebrandt, Jahrgang 1969, ist promovierte Philosophin und seit Mai 2013 Professorin für „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der Fachhochschule Potsdam.

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