Von Jan Brunzlow: Elternrat plädiert für mehr Gesamt- statt Oberschulen
Die Schulentwicklung stockt: Elternsprecher hofft auf Umdenken und Orientierung am Elternwillen
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Die Ansagen der Lehrerin klingen verwirrend: „Wenn Sie ihrem Kind das zutrauen, melden Sie es an einem Gymnasium an. Die Gesamtschulen sind sehr voll.“ Es ist ein Hinweis in einer Elternversammlung für das kommende Ü7-Verfahren, bei dem Eltern und Grundschüler der sechsten Klassen sich eine neue Schule suchen müssen. Oberschule, Gesamtschule oder Gymnasium heißt eine Wahl, staatliche Schule oder Privatschule eine andere. Bereits im Frühjahr kam es zu großen Problemen bei der Schulwahl, mehr als 200 Schüler konnten zwischenzeitlich nicht die Schulform besuchen, die sie gerne hätten. Denn es fehlen statistisch betrachtet Gesamtschulplätze. Der Potsdamer Kreiselternrat plädiert daher erneut für mehr Gesamtschulen – doch die Schulverwaltung hat andere Pläne.
Fünf Gesamtschulen gibt es in der Landeshauptstadt. Davon kann jedoch die Sportschule Friedrich Ludwig Jahn nicht frei angewählt werden, die Goethe-Gesamtschule soll zum Ende des Schuljahres schließen. „Eine verzwickte Situation“, sagt eine Grundschullehrerin. Sie würde den Eltern auch empfehlen sich für ein Gymnasium anzumelden, weil es zu wenig Gesamtschulplätze gebe. Denn wird der Gesamtschulwunsch des Schülers abgelehnt, würden die Kinder vom Schulamt an noch freie Plätze irgendwo in der Stadt verwiesen. Zudem hätten einige Eltern Bedenken geäußert, ob die Kinder die Belastung eines Abiturs nach zwölf Jahren bestehen. Die Gesamtschule biete mehr Zeit und zudem alle Abschlüsse.
Die Schulverwaltung hat allerdings weniger Bedenken. Sie plant mindestens ein weiteres Gymnasium im nächsten Schuljahr zu eröffnen, bis 2015 möglich sogar drei neue. Es wären die städtischen Gymnasien Nummer fünf, sechs und sieben – mit den vier Privat-Gymnasien also elf. Zudem gebe es zwei Gesamtschulen und fünf Oberschulen. Für Markus Kobler stimmt diese Mischung nicht mehr. Der Sprecher des Potsdamer Kreiselternrates wünscht sich einerseits die Beschränkung neuer Privatschulen, andererseits mehr Gesamtschulen für die Potsdamer. Denn die Gesamtschule sei die Schulform, die in den vergangenen Jahren am meisten nachgefragt wurde. Statistiken geben ihm Recht. In diesem Jahr hat allein eine kurzfristige Sondergenehmigung für den Erhalt der Goethe-Gesamtschule verhindert, dass Eltern und Schüler auf der Strecke stehen bleiben.
Dabei galt die Gesamtschule landesweit lange als Auslaufmodell. Mit der Änderung des Schulgesetzes vor fünf Jahren sind Gesamtschulen ohne gymnasiale Oberstufe und Realschulen zu Oberschulen deklariert worden. Manche meinen, dadurch gibt es innerhalb des Landes Brandenburg kein einheitliches Schulsystem mehr. In Brandenburg an der Havel existieren beispielsweise keine Gesamtschulen mehr – Schüler ohne Gymnasialeignung können dort nur über eine Oberschule und das Oberstufenzentrum das Abitur ablegen. In Potsdam haben sich die Stadtverordneten einst gegen das zweigliedrige System Oberschule oder Gymnasium ausgesprochen und es abgelehnt, funktionierende Gesamtschulen abzuschaffen. Anfangs zu Lasten der Oberschulen – vier der acht Schulen mussten nur wenige Monate nach der Reform wegen geringer Schülerzahlen schließen.
Heute sind die Oberschulen im sicheren Fahrwasser – ausgelastet allerdings nicht. Dass die Verwaltung dennoch am Schlaatz eine neue Oberschule für bis zu 100 Schüler pro Jahrgang eröffnen will, kann Markus Kobler daher nicht nachvollziehen. Der Schlaatz brauche eher eine Gesamtschule. Es gebe Am Stern und in der Waldstadt Oberschulen, eine dritte in diesem Gebiet werde nicht benötigt. Dafür gibt es in den Plattenbaugebieten nur ein Gymnasium und eine Gesamtschule im Kirchsteigfeld – zu wenig, findet er. Wie im Süden der Stadt so murren auch die Anwohner im Norden über eine hinkende Schulentwicklung. Wer aus den nördlichen Ortsteilen in eine weiterführende Schule in Potsdam sucht, muss mindestens bis zur Kurfürstenstraße fahren.
Es sind allerdings nicht die einzigen Stellen, an denen die Schulentwicklung in den letzten Jahren versagt hat. Inzwischen gibt es selbst aus der Verwaltung Kritik, dass die Planungen des erst vor wenigen Monaten beschlossenen Schulentwicklungsplanes überarbeitet werden müssen. Die Bevölkerungsprognosen sind erneut angehoben worden, die aktuellen Entwicklungsgebiete sind vor allem im schularmen Norden sowie rund um den Hauptbahnhof, altes Tramdepot und Speicherstadt. Teltower und Templiner Vorstadt also. An jenen Stellen, wo es bislang kaum Kitas, keine Grundschule und nur ein Gymnasium gibt. Dafür könnte in den nächsten Jahren die Bevölkerung in diesem Bereich um mehrere Tausend anwachsen. Problem dabei: Die Standorte müssen komplett neu geplant werden – das dauert. Eltern reagieren daher inzwischen verwundert über den Tipp, für ihr Kind ein Gymnasium auszuwählen. Weil die Auswahl nicht vordergründig aus pädagogischer Sicht erfolgt, sondern aus infrastruktureller.
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