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Homepage: Emotionale Bausteinchen zur Analyse Dritte psychoanalytische Summer School an der FH

Laut moderner Hirnforschung werden rund 80 Prozent unseres Verhaltens von Vorgängen gesteuert, die unbewusst ablaufen. Grund genug, nach dem Sigmund-Freud-Jahr 2006 die Psychoanalyse nicht an den „historischen Nagel“ zu hängen.

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Laut moderner Hirnforschung werden rund 80 Prozent unseres Verhaltens von Vorgängen gesteuert, die unbewusst ablaufen. Grund genug, nach dem Sigmund-Freud-Jahr 2006 die Psychoanalyse nicht an den „historischen Nagel“ zu hängen. Dass die oft verkannte und bisweilen sogar belächelte Disziplin der Freudianer heutiger Psychologie und Psychotherapie weiter wichtige Impulse verleiht, ist an der Fachhochschule Potsdam unumstritten. Hier tagte vergangene Woche schon zum dritten Mal die „Wissenschaftliche Summer School“ der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG).

Bei dem Workshop berieten sich Wissenschaftler aus dem In- und Ausland über neue Projekte und lieferten sich ein „feed back“ zu bereits entwickelten Forschungsansätzen. Die meisten Teilnehmer – diesmal unter anderem aus Zürich, Berlin, Innsbruck und Potsdam – kombinieren Forschung und Praxis sehr eng und sind im klinischen Bereich, in der Pädagogik oder auch in der Sozialarbeit aktiv. Heuer überwogen die klinischen Psychologen, und einem ihrer bekanntesten Vertreter, Professor Cord Benecke von der Universität Innsbruck, war auch der Eröffnungsvortrag vorbehalten.

Benecke referierte über Klinische Emotionsforschung und deren Relevanz für Psychoanalyse und Psychotherapie – ein überraschenderweise noch recht unerschlossenes Gebiet. „Möglicherweise hat dies auch damit zu tun“, so der Innsbrucker Professor, „dass selbst Sigmund Freud die Emotionen mehr oder weniger nur als Triebabkömmlinge betrachtete. Die Bedeutung von Affekten und Emotionen blieb bei ihm eher vage.“

Dabei seien schwerwiegende psychische Störungen ohne Veränderungen im Emotionssystem im Prinzip nicht vorstellbar. Die bei Patienten oft zu beobachtenden „Abwehrvorgänge“ – Verhaltens- und Vermeidungsstrategien, um bestimmte Gefühle wie Angst nicht erleben zu müssen – können nach Cord Beneckes Ansicht auch auf Schwankungen im „strukturellen Niveau“ der individuellen Emotionen zurückgeführt werden. „Davon“, so der Österreicher, „kann dann auch unmittelbar die emotionale Stabilität abhängen.“ Ein Mensch mit gut strukturierten emotionalen Fähigkeiten könne vieles zunächst für sich und dann interaktiv regeln, zum Beispiel auch Verletzungen und Angriffe von außen. Bei niedrig strukturierten Patienten könne dagegen ein einzelnes Schuldgefühl „schon fast vernichtenden Charakter“ tragen und dann direkt zu unglücklichen Interaktionen beitragen.

Dass in emotionaler Hinsicht aber auch gehörig manipuliert und „angesteckt“ werden kann, erläuterte Cord Benecke am Beispiel des allseits beliebten Kinos: Durch Filmszenen kann jeder auf ein bestimmtes Strukturniveau geleitet werden, das man sonst so eigentlich nicht von sich kennt. Da kann Hass aufkommen, Zerstörung, Tod, so Benecke. „Zum Glück gehen wir dann meistens aus dem Kinosaal und trinken erst einmal eine Cola zur Beruhigung“, ergänzte der Referent schmunzelnd.

Im klinischen Bereich, wo Therapeuten täglich mit manifesten Depressionen, Angst- oder auch Zwangsneurosen konfrontiert sind, werden Gefühle, Konflikte und ihre Verarbeitung mittlerweile intensivst erforscht – unter anderem mit der „Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik“ (OPD). Bei dem in Innsbruck laufenden Projekt werten die Therapeuten in paralleler Weise ihre Reaktionen auf die jeweiligen Patienten aus – wo es möglich ist, auch per Videoaufzeichnung. Professor Benecke räumt ein, dass die klinische Emotionsforschung, die sich vor allem auf nonverbale Emotionsausdrücke konzentriert, noch ziemlich am Anfang steht. „Wir haben bisher nur Bausteinchen in der Hand, aber auch die sind für künftige analytische Prozesse schon wertvoll.“

Auf eine rasche Transformation der Ergebnisse hofft man nicht nur in den therapeutischen Kliniken, sondern auch in der universitären Lehre und in der sozialpädagogischen Praxis. Nutznießer könnte auch die FH Potsdam sein, an der Professor Hermann Staats die „Sigmund Freud Stiftungsprofessur für psychoanalytisch orientierte Entwicklungspsychologie“ im Fachbereich Sozialwesen hält und wohl auch im nächsten Jahr wieder die Summer School der DPG koordiniert.

Olaf Glöckner

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