Landeshauptstadt: Enderleins Bücherbahnhof
Kaiserbahnhof sollte Uni-Bibliothek werden / Umsetzung des Entwurfs von Ekhard Gerber scheiterte an fehlender Finanzierungsmöglichkeit
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Hinrich Enderlein lässt sich 1993 gern vor einem großformatigen Ölgemälde von Sally Heywood, das die große Halle des Kaiserbahnhofs am Wildpark von innen zeigt, fotografieren. Der brandenburgische Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur hegt eine extravagante Idee: Er will den verfallenden Kaiserbahnhof retten und zu einer Universitätsbibliothek umwandeln lassen.
Das Heywood-Gemälde im Foyer seines Ministerium Am Alten Markt mahnt ihn täglich, mit dem untergehenden Denkmal etwas Sinnvolles anzufangen. Hinter seinem Bibliotheksplan steckt nicht nur eine verrückte Idee, sondern auch ein Zwang, denn seit 1990 ist der Bahnhof mit einer Riesenplane wetterfest gemacht. Und das ist nicht gerade billig. Eine halben Million Mark kostete allein die Einrüstung, die Folgekosten gehen in die Millionen. Dem Ressort von Enderlein ist das Bahnhofsgebäude zugeordnet. Er hält daher gleichsam den schwarzen Peter für die verschwendeten Millionen in der Hand. Eine Lösung muss her.
Im Januar 1994 überrascht Enderlein die Öffentlichkeit, indem er eine Machbarkeitsstudie für eine Universitätsbibliothek samt Modell präsentiert und anschließend öffentlich ausstellt. Unterstützt von Uni-Rektor Rolf Mitzner und durch einen Beschluss der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, den Bahnhof nicht zu einer Spielbank sondern zu einer Bibliothek zu machen, verspricht er die Restaurierung des 1905 bis 1909 gebauten wilhelminischen Bauwerkes und einen Neubau im modernen Stil in der Nachbarschaft. 1997 sollte Eröffnung sein. Den Entwurf für den Bücherbahnhof lieferte der Architekturprofessor Ekhard Gerber. Aus dem „Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne“ sollte nach seiner Ansicht ein Bibliothekskomplex mit „hohem atmosphärischen Wert“ entstehen. 23 Prozent der Nutzfläche sollten im Altbau, 77 Prozent in einem Neubau aus Glas und Stahl liegen. Veranschlagte Kosten: 77,5 Millionen DM. Als Nutzung für die obere und untere überwölbte Ankunftshalle sah Gerber ein offenes Magazin vor. „Die vorhandenen Flächen eignen sich in optimaler Weise für die Regalaufstellung“, meinte er. Es könne sogar auf Schallschutz weitgehend verzichtet werden, weil sich hier nicht ständig Leser aufhalten. Das Empfangsgebäude sollte Bibliothekseingang werden, über Kaisertreppe und Kaisersaal wäre der Leser in den Hauptnutzerbereich mit einer großen Bibliothekshalle gelangt. Der Neubauteil sollte sich als Verlängerung an die Ankunftshalle mit einer gänzlich verschlossenen Wand zu den Gleistrassen der Bahn anschließen. 11524 Quadratmeter Hauptnutzfläche sah der Entwurf vor.
Mit der Machbarkeitsstudie und der öffentlichen Ausstellung des Modell der Universitätsbibliothek hatte sich Enderlein weit aus dem Fenster gelehnt. Die Hauptfrage blieb dabei unbeantwortet: Woher die benötigten über 77 Millionen Mark nehmen? In der Landesregierung wehte Enderlein von Anfang an der Wind ins Gesicht. Das fing damit an, dass in den Haushalt kein Geld für das Gerüst mit der Schutzplane, die täglich sagenhafte 1756 Mark kostete, eingestellt wurde. Das Finanzministerium unter Klaus Kühbacher sperrte sich darüber hinaus strikt gegen die Übernahme des Kaiserbahnhofs durch das Land. Enderlein hingegen hatte am 1. Juli 1992 eine Kaufoption mit der Bahn AG für den eingerüsteten Bahnhof unterzeichnet. „Der Vertragstext ist uns nicht bekannt“, ließ damals das Finanzministerium verlauten. Es wollte die Deutsche Bahn um keinen Preis aus ihrer Verantwortung für das marode Bauwerk entlassen. Eine wie auch immer geartete Förderung schien ausgeschlossen, denn für die Instandsetzung historischer Bauten gab es keinen Pfennig aus der Hochschulbauförderung.
Doch nicht nur das Geld, sondern auch die umstrittene Standortwahl für eine Universitätsbibliothek ließen Enderleins Traum zerplatzen. Noch 14 Tage vor der Landtagswahl in Brandenburg, in der die FDP nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kam, beharrte der Minister im PNN-Interview: „Wir müssen einfach klären, ob es der geeignete Standort für die Bibliothek der Universität ist. Ich halte ihn dafür und ich werde nicht aufhören, mich dafür einzusetzen.“
Zuvor, am 7. März 1994, gründete sich mit Unterstützung der Unternehmensgruppe Roland Ernst, in der Enderlein nach dem Ende seiner Ministerkarriere einen Job fand, der Freundeskreis Kaiserbahnhof Potsdam e.V. In einer Mitteilung des brandenburgischen Kulturministeriums hieß es zum Zweck des Vereins, das Denkmal solle von weiterem Verfall bewahrt und der Nutzung als Uni-Bibliothek zugeführt werden. Den Vereinsvorsitz hatte Hinrich Enderlein inne, seine Stellvertreter waren Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen und Uni-Rektor Prof. Rolf Mitzner. Die Gründung des Vereins mit dem Ziel der Spendeneinwerbung waren gewissermaßen die letzten Zuckungen des Bibliotheksbahnhof-Projektes, ebenso wie der angestrebte Verkauf von 5000 Kaiserbahnhof-Uhren durch die Sparkassenfilialen.
Zwei Jahre später fragt die CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung den damaligen Oberbürgermeister Horst Gramlich zum Sachstand beim Kaiserbahnhof. Gramlich: „Mir ist bekannt, dass im Innenverhältnis der Deutschen Bahn AG darüber gesprochen wird, worum es dabei geht, weiß ich nicht zu sagen.“ Dann noch ein Blick auf die Armbanduhr, deren Ziffernblatt der Kaiserbahnhof ziert, „und Gramlich schlenderte missmutig zurück auf seinen Platz“, heißt es in einer CDU-Erklärung.
Nahezu zehn Jahre, nachdem im „Innenverhältnis der Deutschen Bahn“ über die Zukunft des Kaiserbahnhofs gesprochen wurde, eröffnete der Konzern den restaurierten Kaiserbahnhof als interne Führungsakademie. Das Ergebnis dürfte als Meisterleistung zur Wiederherstellung des äußeren Bildes eines historischen Bauwerkes gelten. Der Wermutstropfen dabei: Der Öffentlichkeit bleibt der Ort verschlossen.
Wer einen bisher nicht verwirklichten Architektur-Entwurf für die PNN-Serie „Luftschlösser“ vorschlagen möchte, meldet sich unter Tel.: (0331) 2376 134, Fax: (0331) 23 76 300 oder per E-mail an lokales.pnn@pnn.de.
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