Engel-Forschung an der Uni Potsdam: „Engel sind die Aufhebung des Ichs“
Religionswissenschaftler Johann Hafner erforscht an der Uni Potsdam Engel. Die sind vielfältig und keinesweg immer gut, wie er im Interview erklärt.
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Herr Hafner, glauben Sie an Engel?
Ich erforsche sie. Ob es Engel gibt, ist eine andere Frage. Man kann nicht sagen: „Es gibt Engel – so wie es einen Tisch oder einen anderen Gegenstand gibt. Engel subsistieren, das heißt, sie sind da, ohne dass sie empirisch erforscht sind. Sie bestehen eher als eine natürliche Idee oder als eine Ordnung, so wie die Mathematik oder die Idee der Freiheit. Engel gibt es meines Erachtens in dem Sinn, dass wir von der Transzendenz von etwas Übermenschlichem reden können.
Wie kamen Sie zur Engelsforschung?
Vor zehn Jahren habe ich mal einen Vortrag zu dem Thema gehalten. Das Interesse sowohl der Zuhörer als auch der Öffentlichkeit hat mich dazu veranlasst, auch weiterhin zu forschen. Ich habe gemerkt, dass das Thema sehr stiefmütterlich behandelt wurde, obwohl es eines der großen Traktate in der Theologie des Mittelalters ist. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Engeln ist im 19. Jahrhundert zusammengebrochen. Und das, obwohl in der Angeologie, also in der Lehre von den Engeln, ganz viele aktuelle Themen versteckt sind, etwa die Frage danach, ob es nur ein Universum oder mehrere gibt.
Was sind denn Engel?
Engel werden in der Religionswissenschaft als übermenschliche, nicht-göttliche Wesen verstanden. In der Theologie versteht man unter Engeln reine Intelligenzen, die zum Teil mit einer Botenfunktion ausgestattet sind.
Und wie sehen Engel aus?
Ursprünglich gibt es zwei Erscheinungsformen. Einmal die monströse Form vom kosmischen Wächter für den Himmelspalast: Eine aus verschiedenen Tierleibern zusammengesetzte Figur mit vielen Flügeln und vielen Augen. Sie sind als Cherubim oder Seraphe bekannt. Daneben gibt es die Engelsfigur in menschlicher Gestalt, ohne Flügel und ohne besondere Kennzeichen. Sie begleiten einen Menschen oft auf seinem Lebensweg und überbringen Botschaften. In der Spätantike sind beide Formen zusammengeschmolzen, Vorbild hierfür war der antike Gott Hermes.
Welche Aufgaben nehmen Engel wahr?
Engel haben ganz unterschiedliche Aufgaben. Ihre ursprüngliche Aufgabe war es, Gott zu beschützen und ihn als eine Art Ministerrat zu beraten. Dann wurden ihre Aufgaben immer differenzierter. Zum Beispiel waren sie für die Offenbarung an die Menschen, also für die Verlautbarung des göttlichen Ratschlusses, zuständig. Sie sollen die Seele außerdem in den Himmel – oder in die Hölle – begleiten. In der islamischen Lehre ist es sogar so, dass die Engel eine Art Buchführung der guten und schlechten Taten haben, am Ende des Lebens wird dieses Buch aufgeschlagen.
Wo kommen Engel vor?
Engel kommen in allen drei monotheistischen Religionen vor. Im Koran gehören sie zum Glaubensgegenstand: Gott, Prophet, das heilige Buch, also der Koran, und die Engel. Im Christentum tauchen Engel im Glaubensbekenntnis nicht auf, werden aber bereits in den allerältesten Schichten der hebräischen Bibel als Göttersöhne erwähnt.
Es gibt Kurse, in denen gezeigt wird, wie man in Kontakt mit Engeln treten kann. Was halten Sie davon?
Diese Kurse fangen das Bedürfnis auf, ganz persönliche Anliegen in die transzendierte Welt zu tragen – etwa den Wunsch nach mehr Geld oder nach einem Partner. Das entspricht eigentlich nicht dem Anspruch der Engel als Wesen, die für die ganze Welt zuständig sind.
In Ihren Vorträgen über Engel sprechen Sie auch vergessene Traditionen der Engel an. Worum geht es dabei?
Das sind Berichte, die sich nicht in der Bibel wiederfinden, sondern in Apokryphen, also den religiösen Schriften, die nicht in der Bibel sind, stehen. Dazu gehören die Erzählungen der verschiedenen Engelschöre. Da gab es einen Kampf zwischen bösen und guten Engeln, an dessen Ende die bösen Engel auf die Erde geworfen wurden, um die Menschen zu verführen. Sie wollten die Menschen zum Stolz und zum Zorn verleiten und dazu, dass sie sich selbst als das beste Geschöpf ansehen. In diesen Theorien werden der Stolz und der Hochmut als der Beginn alles Bösen angesehen. Es gibt eine Theorie aus dem dritten Jahrhundert, nach der Engel den Beginn der Materie, in der wir leben, erklären. Demnach waren Engel nichts anderes als eine Abstrahlung Gottes, der stufenweise Abzug der Engel von Gott führte zu einer finsteren, körperlosen Gestalt. Es geht um die Frage: Wie wäre es, zu existieren ohne Körper und ohne all das, was die materielle Welt ausmacht? Engel sind die Aufhebung des Ichs in der Gemeinschaft.
Welche Rolle spielen Engel in der Weihnachtsgeschichte?
Im Alten Testament wirken Engel allgemein sichtbar als Feuersäule oder Wolkensäule als direkte Erscheinung Gottes. Im Neuen Testament treten sie nur bei der Geburt und der Auferstehung Christi jeweils als Boten oder Zeugen in Erscheinung und verkünden das Göttliche. Sie zeigen, dass es nicht nur eine lokale Geschichte in Bethlehem ist, sondern dass es sich um ein weltliches, kosmisches Geschehen handelt. Im neuen Testament bewirken sie nie etwas, sondern sind nur Beobachter. Das liegt daran, dass der Einzige, der im Neuen Testament etwas bewirkt, Jesus Christus ist, er ist der einzige Mittler und monopolisiert alle Engel auf sich. Interessant ist, dass die Engel im modernen Weihnachtsgeschäft fast alles überwuchert haben, während man das Krippengeschehen fast überhaupt nicht mehr findet. Das kommt daher, dass die Leute mit Engeln Nähe, Vertrautheit, Sanftheit und den persönlichen Schutzengel verbinden – mit Engeln können sie ihr Leben religiös verdoppeln.
Welche Hoffnung geben Engel – auch angesichts aktueller Vorkommnisse wie dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt – den Menschen?
Da müsste man jeden Menschen einzeln fragen. Aus der Geschichte der Engel können wir aber lernen, wie schnell religiöse Gedanken in diabolische umkippen können – so wie die Dienstboten der Götter zu rachsüchtigen und neidvollen Wesen mutieren. Insofern sind Engel und Teufel ein Symbol für die Ambivalenz der Religionen. Andererseits teilen Judentum, Christentum und Islam sich gerade die Engelsgestalten. Bei Jesus, Mohammed und Moses kommt man bei den drei Religionen gleich in Streit, beim Thema Engel ins Gespräch. Ein weiterer Punkt, der auch in dem Film „Der Himmel über Berlin“ kritisiert wird, ist, dass die Menschen vor allem in der Stadt sehr mit sich selbst beschäftigt sind und gar nicht mehr miteinander reden. In dem Film können Engel die Gedanken bis zu einem gewissen Grad lenken, ihre Botschaft ist: Es gibt so viel höheres Leben, nämlich ein gemeinschaftliches Leben, und das kann ein großer Trost sein. Wer an eine engelsgleiche Existenz glaubt, an eine höhere Existenz als das Irdische, muss sich selbst nicht mehr so ernst nehmen.
Das Gespräch führte Anne-Kathrin Fischer
ZUR PERSON: Johann Hafner (53) ist seit 2005 Inhaber des Lehrstuhls für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Christentum an der Uni Potsdam. Unter anderem erforscht er Engelsvorstellungen.
Anne-Kathrin Fischer
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