Landeshauptstadt: Erfahrung und Bauchgefühl
Gladys Wildenhain spricht seit über drei Jahren als Schöffin Recht. Sie plädiert für schärfere Jugendstrafen
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Untätig sein ist nichts für sie. Als Gladys Wildenhain aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand verabschiedet wurde, schien das Schöffenamt eine interessante Alternative. Seit über drei Jahren spricht die inzwischen Sechzigjährige nun am Amtsgericht Recht, und das ohne jede juristische Ausbildung. „Ich bin von Natur aus mit einer gehörigen Portion Gerechtigkeitssinn ausgestattet. Dazu kommt in der Verhandlung dann das Bauchgefühl“, erzählt die Tochter eines amerikanischen Vaters. Allerdings sei es ihr vor ihrem ersten Einsatz bestimmt schlechter gegangen als dem Angeklagten. „Diesen Prozess werde ich nie vergessen“, erinnert sich die ehemalige kaufmännische Angestellte. „Der Angeklagte kam sturzbetrunken ins Gericht. Wir mussten entscheiden, ob er überhaupt verhandlungsfähig ist.“ Der Schluckspecht behauptete, sich völlig okay zu fühlen und der Verhandlung folgen zu können. „Wir bezweifelten das.“ Die Polizei brachte den Mann zuerst ins Klinikum, dann in die Ausnüchterungszelle. Irgendwann gab es einen neuen Termin.
Dennoch seien ihr Verhandlungen, in denen Alkohol als Auslöser von Straftaten eine Rolle spiele, mit am liebsten, so Gladys Wildenhain. Seit über 20 Jahren engagiert sich die gebürtige Berlinerin in der freiwilligen Suchtgefährdetenhilfe. Gehe es um Promillesünder, bewege sie sich auf bekanntem Terrain, schätzt sie ein. Unsicher fühlt sich die Mutter zweier erwachsener Kinder neben ausgebildeten Juristen schon lange nicht mehr. Es sind Lebens- und Berufserfahrung, die sie befähigen, ihre Ansicht in der Urteilsberatung konsequent zu vertreten. Die Stimme eines Schöffen zählt ebenso viel wie die eines hauptamtlichen Richters. Votiert einer der zwei ehrenamtlichen Richter, mit denen das Schöffengericht während einer Verhandlung besetzt ist, gegen die Verurteilung eines Beschuldigten, ist dieser freizusprechen.
So wie im Fall des vermeintlichen Zigarettendiebes. „Die Vorsitzende war von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Mir kam der als Zeuge gehörte Detektiv allerdings ein bisschen übereifrig vor“, erinnert sich Gladys Wildenhain. „Ich war als Filialleiterin tätig und weiß, wie die Detektive unter Druck stehen.“ Zudem habe er sich während seiner Aussage widersprochen. „Zuerst sollte der Angeklagte zwei Schachteln Zigaretten gestohlen haben. Dann sprach der Detektiv auf einmal von einem Päckchen Tabak, das entwendet wurde.“ Da die Videoaufnahmen des Supermarktes miserabel waren, konnte aus ihrer Sicht die Schuld des Angeklagten nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Von der Verschärfung des Jugendstrafrechts verspricht sich Gladys Wildenhain eine Menge. „Junge Leute dürfen mit 18 Jahren heiraten und wählen. Werden sie straffällig, sollten sie die Konsequenzen ebenso zu spüren bekommen, wie ein Erwachsener“, betont sie. Vor allem müsse die ausgesprochene Sanktion möglichst bald auf die Tat folgen. Und sie sollte nicht so mild, wie derzeit öfter praktiziert, ausfallen. „Der Schock muss groß genug sein. Jugendliche, die immer wieder Bewährungsstrafen erhalten, lachen sich irgendwann ins Fäustchen.“
Gabriele Hohenstein
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