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Links und rechts der Langen Brücke: Erinnern – in Vielfalt

Michael Erbach setzt sich für eine fortwährende Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit ein – die individuell gestaltet werden sollte

Stand:

Auch in diesem Jahr ist der 9. November ein Gedenktag gewesen. Überall in Deutschland wurde an die Pogromnacht von 1938 als Fanal zur Ausrottung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland erinnert. Dem Fall der Mauer und den Opfern des DDR-Grenzregimes gedachten ebenfalls viele Menschen. Das Erinnern geschieht auf recht unterschiedliche Weise. So gedachte die Gesetzestreue Jüdische Gemeinde Potsdam nicht am eigentlichen Gedenktag, sondern einen Tag früher. Der Grund: Der diesjährige 9. November war ein Freitag – am Sabbat sind orthodoxen Juden Aktivitäten in der Öffentlichkeit untersagt. Die offizielle Pogrom-Gedenkfeier fand dann gestern am Ort der früheren Synagoge statt. Den Opfern des DDR-Grenzregimes wurde ganz unterschiedlich gedacht: Das Forum zur kritischen Aufarbeitung mit DDR-Geschichte e.V. brachte an einem der letzten Mauerreste ein Kreuz an – Symbol für die Mauertoten auf dem Stadtgebiet. An der Mauergedenkstele in der Steinstraße trafen sich Sozialdemokraten und Anwohner. Die Junge Union teilte zum Gedenktag mit, sie wolle für alle Opfer an der Potsdamer Mauer Gedenkstelen errichten. Und heute um 11 Uhr versammeln sich die Mitglieder der „Fördergemeinschaft Lindenstraße 54“ an der Glienicker Brücke, um an Opfer des DDR-Regimes zu erinnern. Gut, dass es diese Erinnerungskultur gibt. In welcher Form sie sich äußert, ist dabei zweitrangig. Auch, dass die Kundgebung der Gesetzestreuen zugleich Protest gegen den Umgang von Stadt und Land mit dieser jüdischen Gruppe war und sowohl das Forum wie auch die Junge Union ihre Aktivitäten mit Kritik an der angeblichen Untätigkeit anderer verbanden, ist legitim. Vergangenheitsbewältigung findet auch in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart statt. Und dass wir noch immer Grund zum Mahnen haben zeigen nicht nur die Aktivitäten von Neonazis, sondern diese beiden Tatsachen: Noch immer hat Potsdam keine neue Synagoge und noch immer ist die Gedenkstätte für Terror-Opfer in der Lindenstraße nicht verwirklicht. Immerhin: Die Landesregierung hat jetzt ein Konzept zur aktiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur verabschiedet. Was dem Anliegen des fast gleichnamigen Forums entspricht: fortwährende, vielfältige Auseinandersetzung mit Geschichte – endlich auch mit Unterstützung des Landes.

Michael Erbach

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