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Links und rechts der Langen Brücke: Erinnern an Geschichte

Guido Berg über die Große Weinmeisterstraße, an der Geschichte geschrieben wurde: in der Villa Quandt, im KGB-Gefängnis, in der Lepsius-Villa

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Potsdam hat viele besondere Orte. Die Große Weinmeisterstraße ist einer davon. Es herrscht dort eine bestimmte Ruhe. Es ist die Ruhe nach der Geschichte, die mit dem Abzug der sowjetischen Armee 1993 eine Pause einlegt. Die Geschichte Europas ist vielfältig, einige ihrer Fäden kreuzen sich am Fuß des Pfingstbergs. Bis zum Ende des Kalten Krieges war das Haus an der Ecke Große Weinmeisterstraße/Lepsiusstraße ein Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Viele Menschen litten in den Zellen. Die Urteile, die über sie verhängt wurden, sind vielleicht in der Villa Quandt schräg gegenüber ausgeheckt worden – in der Kellersauna oder im Tauchbecken, das erhalten werden soll. „Ich möchte nicht wissen, welche Urteile hier besprochen worden sind“, sagte Hartmut Dorgerloh in dieser Woche. Der Chef der Schlösserstiftung führte durch das Haus, das bis zum kommenden Sommer saniert wird. Bis Kriegsende wohnte dort der Sohn Wilhelms II., Prinz Oskar von Preußen. Er war der letzte Hohenzollern, der 1945 Potsdam verließ. Nebenan wurde Geschichte im wahrsten Sinn des Wortes geschrieben. Johannes Lepsius verfasste dort den „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“. Am 7. August 1916 wurde der Lepsius-Bericht von der deutschen Zensur verboten. Die Verdrängung und juristische wie politische Folgenlosigkeit des Völkermordes an den Armeniern sind Forschern zufolge eine Ermutigung für Adolf Hitler gewesen, die Juden Europas ausrotten zu wollen. Am 22. August 1939 sagte Hitler vor hohen Militärs und Kommandeuren der SS-Todesschwadronen: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“ Insofern schrieb Lepsius, wenn man so will, schon 1915 gegen das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte an, den Holocaust. Und das an der Großen Weinmeisterstraße! Nach der Wende hat die Geschichte dort eine Atempause eingelegt, nun geht sie weiter, hauptsächlich als Geschichte des Erinnerns an Geschichte. Das Lepsiushaus ist von außen saniert und harrt auf Geldgeber für den Innenausbau. Dort soll der Völkermord an den Armeniern erforscht werden. Die Villa Quandt beherbergt ab 2007 das Fontane-Archiv und das Brandenburgische Literaturbüro. Das Ex-KGB-Gefängnis wird mit Millionenaufwand in seiner jetzigen Form konserviert.

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