Landeshauptstadt: Erinnerungen im Schuhkarton
Mit „Biografisches Schreiben“ in der Urania zur eigenen Lebensgeschichte
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Mit „Biografisches Schreiben“ in der Urania zur eigenen Lebensgeschichte Von Dirk Becker Mit einem Schuhkarton soll es beginnen. Tagebücher, Briefe, Fotos, ganz persönliche Dinge, all das was wir vom eigenen Leben erinnerungswert halten, muss nun in diesem Schuhkarton Platz finden. Ein Sammeln nennt Barbara Wiesener diese ungewöhnliche Bestandsaufnahme. Sammeln um sich einen Überblick zu verschaffen. Das Leben auf ein paar Quadratzentimetern Pappe zusammengetragen soll hier nur als Anfang dienen, um über sich selbst zu schreiben. Einmal im Monat kommen sie zusammen. Neun sind es, die mit dem Urania-Kurs „Biografisches Schreiben“ einen Weg zur eigenen Geschichte suchen. Die Jüngste ist 34, die Älteste über 70 Jahre alt. Frauen dominieren, nur drei Männer sind gekommen. Für Barbara Wiesener kein ungewöhnliches Bild. Die studierte Kunsthistorikerin und promovierte Germanistin leitete schon andere Schreibkurse. Sich einer anfangs völlig fremden Gruppe zu stellen und hier auch über sehr Persönliches zu reden, vielleicht fällt das Frauen leichter, vermutet sie. Weniger die Hoffnung auf einen Bestseller treibe die Teilnehmer zu Stift und Blatt Papier. Es ist die Auseinandersetzung mit sich selbst, wissen, dass man etwas zu erzählen hat, doch nicht so recht weiß, wie und wo man beginnen soll. Die 34-jährige Constanze Pohl will mit dem Schreiben etwas Ordnung in ihr Leben bringen, das sich oft genug chaotisch präsentierte. Die Kindheit bei Adoptiveltern, zu oft wurde sie hier vor vollendete Tatsachen gestellt, wechselten Menschen in ihrer Umgebung manchmal schneller als Möbelstücke. „Suche nach Erinnerungen“, nennt sie ihr Schreiben, das sie jetzt als konsequente Fortsetzung ihrer Tagebuchaufzeichnungen versteht. Vor zwei Jahren begann sie mit dem Studium der Sozialpädagogik, ihre drei Kinder ließen ihr vorher keine Zeit. In einem Seminar erfuhr sie etwas über die verschiedenen Methoden des Schreibens. Eine Art der Selbstauseinandersetzung die ihr gefiel. Viele Erinnerungen aus ihrer Kindheit hat sie verdrängt. Mit dem richtigen Schreibkonzept will sie sich nun auf die Suche danach machen. Doch der Anfang im schlichten Unterrichtsraum der Urania klingt alles andere als spektakulär. Ein halbes Blatt muss erst einmal genügen. Barbara Wiesener gibt kurze Anweisungen. Den eigenen Namen sollen alle zuerst auf dieses Blatt vor ihnen schreiben und dann spontan das dahinter niederschreiben, was ihnen zu sich selbst einfällt. Bei manchen wirkt es wie ein Startschuss, andere zögern. Dieses Spontane fällt ihnen schwer. Doch nach einer Viertelstunde haben alle die ersten Sätze geschafft. Manche reflektieren die Geschichte ihres Namen, die Männer vor allem sind bis in ihre frühe Kindheit zurückgegangen. Traumatische Erlebnisse aus dem letzten Kriegsjahr, von denen sie in wenigen Sätzen berichten. Mancher Stil ist hart, noch unbeholfen. Andere schreiben locker, mit Humor. Man braucht nicht lange um festzustellen, in welche Richtung mancher hier schreiben wird. Die Methoden des „creative writing“ aus den USA hat Barbara Wiesener für ihren Kurs herangezogen. Es sind manch gewöhnungsbedürftige Übungen dabei. So muss jeder noch einmal über sich schreiben, aber nun mit der „falschen“ Hand mit der er sonst nie schreibt. „Freies Assoziieren“, nennt Barbara Wiesener diese Methode. Mit der anderen Hand zu schreiben bedeute auch, die andere Gehirnhälfte zu aktivieren. Was hier ein wenig nach Hobbypsychologoie klingt, zeigt dann spätestens beim Vorlesen der Texte überzeugende Wirkung. Mit anderer Hand geschrieben, schon entstehen ganz andere Texte. Die Überraschung bei den Schreibenden löst die Stimmung. Wer sich am Anfang noch zurückhielt, der scheut sich jetzt nicht mehr seine Texte vor den anderen zu lesen. Doch vernichtende Kritik braucht hier niemand zu fürchten. Im Grunde will Barbara Wiesener nur Anregungen geben. Dazu gehören ganz praktische Tipps wie das regelmäßige Schreiben am Morgen, die Ordnung der Erinnerungen auf Karteikarten, das Wiederholen und ständige Durcharbeiten der Texte. Das eigene Leben bezeichnet sei als ein „verwobenes Knäuel, an dem man nur zupfen kann“. Schlüsselerlebnisse in der Vergangenheit zu suchen und von da aus erzählen, das ist nur eine Möglichkeit die in diesem Kurs angeboten wird, sich diesem „Knäuel“ systematisch zu nähern. Vier Treffen sind vorerst geplant. Barbara Wiesener aber will, wenn Interesse besteht, auch danach die Schreibenden begleiten. Denn bis zu eigenen Biographie ist es oft ein langer Weg, an dessen Anfang das Sammeln und Sortieren der eigenen Erinnerungen steht. Auch wenn bei vielen, wie sie schnell zugeben muss, dafür ein Schuhkarton nicht reichen wird. Informationen und Anmeldung zum Kurs „Biografisches Schreiben“ unter Tel.: (0331) 291741
Dirk Becker
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