zum Hauptinhalt

Vergewaltigungsprozess in Potsdam: Erinnerungslücken vor Gericht

Ein 56-Jähriger soll eine Frau vergewaltigt und verprügelt haben. Der Prozess verlief aber anders als geplant.

Stand:

„Ich weiß es nicht mehr.“ Diesen Satz hörte die Vorsitzende Richterin Bettina Thierfeldt allzu oft am gestrigen Montag. Am ersten Verhandlungstag in einem Vergewaltigungsprozess gegen einen 56-jährigen Potsdamer konnten sich weder der Angeklagte noch das Opfer genau daran erinnern, was sich eigentlich ereignet hatte im Dezember vergangenen Jahres. Ein Grund war sicherlich der Alkohol, dem sich beide nicht nur am Tattag zu gerne hingaben. Am Ende musste Thierfeldt einem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgeben und das Verfahren aussetzen. Jetzt haben zunächst die Gutachter das Wort.

Laut Anklageschrift soll der einschlägig vorbestrafte 56-jährige Frank W. am 5. Dezember vergangenen Jahres eine völlig betrunkene Bekannte in seiner Wohnung in der Waldstadt eingesperrt haben. Als die Frau fliehen wollte, schlug er auf sie ein und vergewaltigte sie. Die Frau trug mehrere schwere Hämatome und Schwellungen im Gesicht davon. Zu den Vorwürfen nahm W. ausführlich Stellung – und stellte den Verlauf des Tages völlig anders dar. So hätten Täter und Opfer schon länger eine Liebesaffäre gehabt, sagte W., der in Jeans und einem blauen Hemd über einem Rollkragenpullover auf der Anklagebank saß. Am Morgen des 5. Dezember 2015, ein Samstag, habe das 47 Jahre alte spätere Opfer dann plötzlich vor seiner Tür gestanden. Sie sei betrunken gewesen und habe Trost gesucht, da sie Streit mit ihrem Freund – „dem Holländer“ – gehabt habe. Nach einigen Bieren und einer Flasche Wodka habe die Frau dann ins Bad gewollt, dabei im Flur den Käfig von Hausratte „Falko“ umgeschmissen sowie Geschirr zu Boden geworfen. Daraufhin sei W. so wütend geworden, dass er sie mehrfach „mit der flachen Hand“ geschlagen habe. Anschließend sei es zum „einvernehmlichen“ Sex gekommen – mehrmals an diesem und am Folgetag. Der genaue Ablauf der Ereignisse, wie viel an den beiden Tagen getrunken wurde, wo der Alkohol eingekauft wurde, konnte er nicht mehr sagen. Selbst der genaue Tag der Auseinandersetzung blieb im Unklaren.

W. – sichtlich gezeichnet vom Leben, im wahrsten Sinne am Hals bis zu den Ohren und auch auf den Handrücken tätowiert und mit starrem Blick – räumte vor Gericht ein, ein großes Alkoholproblem zu haben. Er habe im Alter von acht Jahren zu trinken angefangen, sagte der gelernte Ziegelbrenner, der in Leipzig aufwuchs, einen Großteil seines Lebens in Gefängnissen verbrachte und mittlerweile von Sozialhilfe lebt. Er trinke schon mal drei Flaschen Schnaps am Tag, sagte er. Auch sei er asthmakrank und habe Angstzustände und Albträume.

Als dann die Frau in Begleitung einer Mitarbeiterin der Opferberatung Potsdam als Zeugin aufgerufen wird, wurde es nicht viel besser. Auch sie konnte sich kaum noch an Details erinnern. Nervös und ängstlich versuchte sie, die Fragen des Gerichtes zu beantworten – und verwickelte sich dabei in Widersprüche. Sie wisse noch, dass sie sich mit W. im Havel-Nuthe-Center in Drewitz getroffen habe. „Allein?“, fragte der Verteidiger. „Das weiß ich nicht mehr“, sagte sie. Dann seien beide in die Wohnung von W. gegangen und hätten dort weiter getrunken. Schließlich habe sie ihren Freund, den Holländer, anrufen wollen, sagte die schmächtige Frau. Daraufhin sei W. ausgerastet, habe sie getreten und geschlagen. Dabei sei der Käfig von Ratte „Falko“ umgekippt. Ob sie sich gewehrt habe, fragte der Verteidiger. „Nein, ich hatte doch Todesangst. Was sollte ich denn tun?“, so das Opfer. Die genaue Uhrzeit? „Das weiß ich nicht mehr.“ Dann habe er sie vergewaltigt, und wieder geschlagen, mehrmals bis in den nächsten Tag hinein. Auch am nächsten Tag widersetzte sie sich nicht ihrem Peiniger, da er sie bedroht habe, sagte die 47-Jährige. Die beiden gingen demnach sogar an eine Tankstelle, um neues Bier zu kaufen. Und dann in ihre Stammkneipe, wo sie einen Bekannten trafen: der daraufhin endlich die Polizei alarmierte und das zweitägige Martyrium der Frau beendete.

In den Gutachten will das Gericht nun zunächst klären, ob W. nur bedingt zurechnungsfähig ist, einen Alkoholentzug machen oder in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden muss. Bei dem Opfer ordnete das Gericht ein sogenanntes Glaubwürdigkeitsgutachten an. Dann wird das Verfahren komplett neu beginnen. Stefan Engelbrecht

Stefan Engelbrecht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })