Gedenkkultur und Potsdams Garnisionkirche: „Erinnerungsort mit giftigen Erbschaften“
Der Potsdamer Politologe Heinz Kleger im Interview über die Debatte zur Gedenkkultur, Potsdamer Debatten, Provokationen von Linksradikalen und das Projekt Garnisonkirche.
Stand:
Herr Professor Kleger, vor fünf Jahren haben sie das neue Toleranzedikt für Potsdam veröffentlicht. Warum wird in dieser Stadt scheinbar besonders leidenschaftlich um das Thema Gedenkkultur gestritten?
Potsdam ist geradezu überladen mit Geschichte – als preußische, französische, sowjetische und DDR-Stadt. Dieser Erinnerungsort mit seinen giftigen Erbschaften überfordert uns alle, insbesondere die Kommunalpolitik. Potsdam war zudem Frontstadt des Kalten Krieges, mit allen wissenschaftlichen Einrichtungen, die dazugehörten. Die äußerst emotional geführten erinnerungspolitischen Debatten belegen, dass es enorm schwierig ist, eine engagierte Distanz zu halten, die lehrreich sein könnte. Schließlich geht es ja darum, etwas aus der Geschichte zu lernen.
Sie beschreiben Potsdam als zerrissene Stadt in Sachen Gedenkkultur. Ist dann zu diesem Thema ein Gedenkkonzept, wie es die Stadtverwaltung plant, überhaupt sinnvoll und vorstellbar?
Die kontrastreiche Vergangenheit der Stadt zwischen Toleranz und Intoleranz birgt für uns die Herausforderung, das Gedenken nicht auf eine Vergangenheit zu reduzieren. Die Vielschichtigkeit der Vergangenheit wie der gegenwärtigen Erinnerungsperspektiven bietet ein Konfliktpotenzial auch für die Zukunft, an dem die Stadtbürgerschaft auf allen politischen Seiten aber auch wachsen kann. Die Stadtgesellschaft sollte sich auf ein Spektrum an gemeinsam getragenem Gedenken verständigen, als auch unterschiedliche Deutungen und jeweils eigenes Gedenken aushalten. Die widersprüchliche Geschichte der Stadt sollte auf jeden Fall im öffentlichen Raum präsent sein. Potsdam ist zum Beispiel auch die Stadt von Liebknecht, Moltke, Ossietzky, Tschäpe und anderen.
Dies ist ein Gesprächsauszug - DAS GANZE INTERVIEW: Am Dienstag in den Potsdamer Neuesten Nachrichten
Wie beurteilen Sie denn den Eklat am „Tag von Potsdam“, als linke Aktivisten in Nazi-ähnlichen Uniformen den offiziellen Gedankspaziergang der Stadt kaperten.
Dieser Eklat hat mich nicht überrascht. Seit den 60er Jahren versuchen Linksradikale mit Faschismusvorwürfen bewusst zu provozieren, was ihnen immer wieder gelingt. Man muss ihnen widersprechen, ohne sich allzu sehr aufzuregen. Leichter gesagt als getan. Diese Auseinandersetzungsformen sind auf jeden Fall ein permanentes Thema des Toleranzedikts. Mehr überrascht im positiven Sinne hat mich am 15. September 2012 die breite friedliche Demonstration gegen einen Nazi-Aufmarsch, obwohl die relativ große linksradikale Szene mit Demonstrationsaufrufen wie „Nazis jagen“ mit dabei war. Man kann mit ihnen reden und sollte es weiter tun.
Vor allem der Wiederaufbau der Garnisonkirche spaltet die Potsdamer in Befürworter und Gegner – was würden Sie empfehlen, um diesen Konflikt zu befrieden?
Die Debatte um den Wiederaufbau der Garnisonkirche ist historisch-politisch besonders aufschlussreich. Es gibt gute Argumente dafür und dagegen. Kritiker sprechen witzigerweise vom Toleranzdelikt, indem sie das Thema auf den Tag von Potsdam am 21. März 1933 reduzieren. Die Wirkung und Folgen dieses Ereignisses sind eine große Bürde für das Wiederaufbauprojekt. Wir müssen diesem Dämon ins Gesicht schauen, ohne uns von ihm unsere eigene gegenwärtige Geschichte diktieren zu lassen. Die Frage, die sich stellt, ist, ob die Last der Vergangenheit als Argument genügt, um gegen den Wiederaufbau mit neuem Konzept zu sein. Zudem stellt sich die Frage, wie ein neues Konzept breiter und offensiver vermittelt werden könnte, sodass es von der Stadtgesellschaft mitgetragen würde. Das Gespräch ist hier noch nicht beendet.
Die Fragen stellte Henri Kramer
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