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Landeshauptstadt: Erpel Tweety darf leben

Die Sorge um das liebe Federvieh bleibt: Wie Potsdams Bauern und ihr Geflügel mit der neuen Stallpflicht leben

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Die Sorge um das liebe Federvieh bleibt: Wie Potsdams Bauern und ihr Geflügel mit der neuen Stallpflicht leben Von Juliane Wedemeyer Viola Harnaß steht vor einer schweren Entscheidung – einer über Leben und Tod. Die Hobby-Geflügelhalterin ist bedrückt: Die Hälfte ihrer Laufenten muss sie schlachten. Der winzige Stall in ihrem kleinen Garten im Park Babelsberg ist zu eng für 14 Vögel. Und auch zum Anbauen fehlt der Platz. Aber von dem brauchen die Laufenten besonders viel: „Zu Laufen liegt in ihrer Natur, darum heißen sie auch so.“ Die Enten bekommen von den Sorgen ihrer Besitzerin nichts mit und watscheln fröhlich gaggernd über den Rasen. Übermorgen werden sie bereits federlos in der Tiefkühltruhe der Harnaß“ liegen – „soviel können wir gar nicht auf einmal essen“, sagt Viola Harnaß. Dabei sollten die Tiere gar nicht als Sonntagsbraten enden. Gekauft habe sie ihre Familie, weil sie so „putzig“ aussehen, wenn sie im Hof der Sanssouci-Gärtnerin umher laufen: „Den schwarz-weißen Erpel da, den habe ich selbst aufgezogen, der ist als Küken zu uns gekommen.“ Darum darf Tweety leben bleiben, obwohl sich die Babelsbergerin dafür entschieden hat, hauptsächlich die Erpel zu schlachten. Noch sind sie in der Überzahl. Harnaß will mit der Tötung der Tiere auf jeden Fall noch bis Sonnabend warten – erst dann wollen die Behörden die Umsetzung der Stallpflicht überprüfen. Und „vielleicht ändert es sich bis dahin ja doch noch.“ Diese Hoffnung hat Landwirt Gerhard Neumann vom Bornimer „Erntegarten“ nicht. Er geht davon aus, dass die Vogelgrippe drei Jahre eine Gefahr für Tier und Mensch sein wird. Und die nimmt er ernst. Auch wenn er nichts von Panikmache hält – „sonst gibt''s nur noch Spinat mit Kartoffeln“. Der Bauer hat bereits vorgesorgt und kleinmaschige Netze – „in die kein Spatz mehr kommt“ – und Planen gegen herunterfallenden Vogelkot gekauft. Drei seiner Mitarbeiter rammen ohne Unterlass Pfeiler in den Boden neben dem Gänsestall, die spätestens ab Sonnabend die Planen und Netze tragen sollen. „Wir müssen uns ganz schön strecken, stehen ganz schön unter Druck“, so Neumann. Trotzdem glaubt er es zu schaffen, seine Tiere rechtzeitig „unter Verschluss zu bringen“. Dank der Netze kann Neumann den Stall seiner Tiere soweit vergrößern, dass sie „immer noch mehr Platz haben als in der Masttierhaltung“. Dennoch – durch die abgeernteten Obstplantagen spazieren und liegengebliebene Äpfel naschen werden diese Vögel in ihrem ohnehin kurzen Weinachtsgans-Leben nicht mehr. Die Stallverordnung gilt bis zum 15. Dezember. Bis dahin sollen sie wenigstens auf die Früchte nicht verzichten müssen. Neumanns Mitarbeiter werden das Fallobst dann selbst einsammeln und an die Vögel verfüttern. Im Stall – so will es die Eilverordnung vom Mittwoch. Neumann ist froh, dass das Veterinärsamt die Haltung unter Planendach und 25-Millimeter-Maschendraht genehmigt hat. Die knapp zwei Quadratmeter, mit denen sich seine Gänse ab Sonnabend begnügen müssen, seien das „absolute Minimum“. Würde er seine Tiere im Stall halten müssen, würde er 70 Prozent der Gänse verlieren. Davon ist Neumann überzeugt: „Im Stall bringen sie sich um.“ Umso größer war die Sorge, ob die Behörde dem übernetzten Gehege zustimmt. Seine Frau habe die letzte Nacht nicht schlafen können. Gleich gestern Morgen hatte der Amtstierarzt angerufen, am Nachmittag stand er mit Neumann neben der künftigen Gänsebehausung und gab sein Okay. Amtlichen Besuch hatte auch Bauer Ernst Ruden gestern Vormittag in Krampnitz. Nun blickt er zufrieden auf das Schreiben mit dem Briefkopf der Stadt Potsdam: „Die Ausnahmegenehmigung“. Vorerst reicht es, wenn seine 100 Gänse und 150 Hühner unter Vogelschutznetzen leben. Vor dem Gänsestall sind sein Sohn, der Inhaber des Landwirtschaftsbetriebes, Ernst Ruden Junior und Schwiegertochter Barbara damit beschäftigt 1200 Quadratmeter mit dem engmaschigen Draht zu überspannen – „da fliegt kein Blatt mehr rein!“ Optimal sei das allerdings nicht. Verzichten muss Rudens Federvieh jetzt auf den Teich zum Planschen und Baden. Und auch den Auslauf auf der saftigen Weide werden sie vermissen: „Das ist als wenn Sie täglich drei Stunden joggen und plötzlich nur noch auf der Couch liegen.“ Die Gänse verlieren Muskelmasse und werden fett. Aber immerhin müssen sie nicht in den Stall gesperrt werden: „Das würde unsere Gänse so stressen, dass sie abmagern würden“, glaubt Ruden. Er rechnet damit, dass die Vögel, denen mit 5 Kilogramm nur noch ein Kilo zum Verkaufsgewicht fehlt, nach einem Monat Stall 50 Prozent ihres Gewichts verlieren würden. 2000 Euro Minus im Weihnachtsgansgeschäft würde das bedeuten. Zudem könnten einige Gänse im Stall ersticken – erdrückt von den zusammengepferchten Artgenossen. Für seine 150 Hühner und die vier Hähne ist bereits gesorgt. Als Schutz vor dem Habicht hat der Landwirt schon vor einiger Zeit Netze über das Geflügelgehege gehängt. Gestern morgen durften es die Tiere bereits nicht mehr verlassen. „Die nächsten drei Wochen wird die Legeleistung erst einmal nachlassen“, so Ruden. Bis gestern konnte er zwischen 70 und 90 Eiern täglich einsammeln. Nun erwartet er ein Drittel weniger. Seine Hühner sind an die Freiheit gewöhnt. In den Stall gingen sie bisher nur zum Schlafen und Eier legen. Ansonsten stakten sie über Hof und Wiese, scharrten nach Regenwürmern und Steinchen. Damit ist Schluss: Auf einen Quadratmeter kommen nun sechs Hühner. Auch die Bio-Hühner vom Bornimer „Florahof“ „verstehen die Welt nicht mehr“. Bekümmert schaut Inhaber Hartmut Schüler auf seine 50 Legehennen, die sich dicht an die vergitterte Stalltür drängen und kläglich krächzen. Ihr Leben spielt sich jetzt innerhalb dieser 30 Quadratmetern ab. Statt Gras von Wegesrändern gibt es jetzt Kohl von Bauer Schüler, damit die Tiere nicht auf etwas „Frisches“ verzichten müssen. Doch auch Schüler rechnet mit weniger Eiern. Und wenn die Hühner sich nicht an die Gefangenschaft gewöhnen? Dann könne er nicht versprechen, „dass keins dran glauben muss“. Dabei weiß er nicht einmal, ob das Einsperren wirklich hilft: Auf seinem Feld sind gerade Wildgänse gelandet. „Was, wenn ich in deren Kacke trete und dann mit meinen Stiefeln in den Hühnerstall gehe?“

Juliane Wedemeyer

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