
© SuicideGirls
Homepage: Erregungspotenzial
Auf einer Konferenz an der FH Potsdam haben Forscher einen Zugang zur Welt der geilen Bilder gesucht
Stand:
Maria Llopis hat einschlägige Erfahrungen mit Pornos. Oder genauer: mit dem Porno nach dem Porno. Denn nicht die alltägliche, massenhaft im Internet verfügbare Genitalschau interessiert die Spanierin. Sie betrachtet Film und Foto als Möglichkeit, eingefahrene Strukturen von Beziehung und Sexualität aufzusprengen. Llopis ist da nicht zimperlich. Auf ihrer Homepage finden sich kaum zurückhaltende Bilder und Videos. Die entsprechen allerdings nicht dem herkömmlichen Schmuddel-Klischee.
Llopis veranstaltet Workshops, in denen Nacktheit eine große Rolle spielt und gebärdet sich auch gerne als nackte Bestie im Gartenbaum. Sie spielt mit Rollen, mit Erfahrungsmustern. An der Fachhochschule Potsdam berichtete sie bei dem internationalen Porn-Studie-Symposium „Explicit“ am Wochenende über ihre Erfahrungen in der einschlägigen Queer-, Gender- und Alternativszene. Der Vortrag geriet unversehens zur recht überzeugenden Performance – lebhaft, gestikulierend spielte sich die Wissenschaftlerin in den Vordergrund. Schließlich erzählte sie auch, dass es für sie schwierig wurde, als sie ungeplant schwanger wurde. Das sah man in der einschlägigen Szene nicht so gerne, ein Rückschritt in patriarchale Beziehungsmuster wurde gemutmaßt. Heute begleitet Llopis andere Frauen bei ihrer Schwangerschaft und Geburt.
Eine eindeutige Definition davon, was Porno sei, wäre gar nicht so einfach zu finden, stellte Anika Meier in Potsdam fest. Sie hat das Symposium mit organisiert. Nun steht sie vor der Schwierigkeit, Perspektiven aufzuzeigen, die sich von dem Phänomen Porno abseits der ganz überwiegenden Massenware eröffnen. Meier verweist auf den schwulen Filmemacher Bruce LaBruce. Der thematisiere politische Zusammenhänge in seinen Filmen.
Der Künstler Sands Murray-Wassink berichtete an der FH von seinen glücklichen Erfahrungen beim Anschauen von Schwulen-Pornos und seiner ihn erfüllenden Beziehung zum Partner, mit dem er auch zusammen lebt. Künstlerische Mentorin von Wassink war Carolee Schneemann. Auch Annie Sprinkle hat ihn schwer beeindruckt. In den 70er Jahren thematisierte Schneemann weibliche Rollen- und Gesellschaftsmuster unter anderem mit einer Performance, bei der sie ein langes, beschriftetes Band aus ihrem Geschlecht zog. Sprinkle öffnete sich zur eingehenden Inspektion in Theatern und Galerien. Seit den mittlerweile kanonisierten Performances sind allerdings bereits mehrere Jahrzehnte vergangen. Die Pose heute wieder aufzunehmen ist daher nicht ganz so revolutionär, wie Wassink vermutet. Entsprechende, detailgenaue Bilder aus allen Blickwinkeln sind in Internetpornos problemlos verfügbar.
Wie breit sich das einschlägige Bildmaterial auffächert, hat der Medienwissenschaftler Till Claassen untersucht. 181 verschiedene Kategorien von Sexualpraktiken und Vorlieben hat er bei einer entsprechenden Sichtung ausgemacht. Wirklich relevant davon seien etwa zehn. „Sehr häufig werden dort Klischees und Konventionen transportiert“, stellt Claassen fest. Dass Porno die gesellschaftlich praktizierte Sexualität reflektiere und auch unterbewusste Wünsche auf den Bildschirm bringe, findet dagegen der Politikwissenschaftler Sven Lewandowski. „Die ganzen extrakorpuralen Ejakulationsorgien zeigen die Angst des Mannes vor dem Kontrollverlust. Man nimmt die Sache wieder in die Hand“, kommentiert er die Bilderflut im Internet.
Von einer Pornografisierung der Jugend möchte Lewandowski nicht sprechen. Zahlreiche Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Verfügbarkeit von Bildern, die früher nicht einmal unter der Ladentheke gehandelt worden wären, nicht schädlich wirke: „Jugendliche und junge Erwachsene gehen mit Beziehungen und Sexualität viel bewusster und verantwortlicher um als früher.“ Andererseits herrsche aber auch ein „Primat der sexuellen Lust“, das gesellschaftlichen Druck erzeugen könne. Der Gang zum Psychologen stehe heute eher bei mangelnder Lust als bei überbordenden Sexfantasien an.
Wie ein Umgang mit Geschlechter- und Körperbildern abseits von kommerziell ausgerichtetem Erregungspotenzial aussehen könnte, deutet Giovanna Maina in ihrem Vortrag an. Sites wie furrygirl.com oder sexymisslizz.com zeigten Frauen, die nicht dem silikongestützten Ideal der professionellen Pornodarsteller entsprechen würden. Die Videos und Bilder sähen so aus, als könnten sie aus privaten Zusammenhängen stammen. „Alternativer Porno versucht der Komplexität der Realität und des Verlangens gerecht zu werden“, konstatiert Maina. Piercings, Gothik-Look und Tattoos fänden sich daher auch in Pornos, da der Schmuck der Identitätskonstruktion der Film- und Fotodarsteller im Alltag entsprechen würde. Bis zu hundert Anfragen von Frauen, die sich gerne mit entsprechenden Bilder präsentieren würden, erreichten die Portale täglich, weiß Maina. Verfügbar sind die Bilder dann allerdings gegen Bezahlung, mit dem die jeweilige Mitgliedschaft und der Zugang erworben werden muss. Die Kommerzialisierung spiele auch hier eine Rolle, räumt Maina ein.
Richard Rabensaat
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: