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Der Charme alter Stifte. Mit den Kugelschreibern und Textmarkern, die Grit Wolff pro Jahr sammelt, können zwei Blumentöpfe aus recyceltem Plastik hergestellt werden.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Erst Stift, dann Blumentopf

Briefkasten auf, Textmarker rein: Die Grafikdesignerin Kitty Wolff betreibt Potsdams erstes Stifte-Recycling

Von Eva Schmid

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Das kleine Schloss am Briefkasten springt auf, mit vollen Händen fischt die Grafikerin Grit Wolff Stifte heraus. Kugelschreiber, neonfarbene Textmarker, Fineliner, Filzstifte. Grit Wolff lächelt. Die Schreibutensilien sind ihr allemal lieber als Post vom Finanzamt, Rechnungen oder schnöde Werbung. Seit einem Jahr sammeln sich Minen und bunte Plastikhüllen in ihrem Briefkasten, seit einem Jahr betreibt die Frau mit den kurzen roten Haaren Potsdams erste Sammelstelle für alte Stifte.

„Zu Gießkannen, Mülleimern oder Teilen vom Armaturenbrett wird das dann weiterverarbeitet“, sagt Wolff, während sie ihren Briefkasten voller Stifte leert. In ihre Postbox, die vor einem Wohnblock in der Waldstadt steht, könne jeder rund um die Uhr sein altes Schreibwerkzeug einwerfen, erklärt sie. Ein von der Grafikdesignerin entworfenes Schild weist den richtigen Briefkasten aus.

Normalerweise landen alte Kugelschreiber, Filzstifte und Fineliner im Restmüll und wandern von dort in die Müllverbrennungsanlage. „Als Grafikdesignerin habe ich einen ziemlich hohen Verschleiß an Schreibzeug“, sagt die 46-jährige Frau. Für ihre vielen Skizzen, die in ihrem kleinen Büro in der Waldstadt auf dem Holztisch herumliegen, werden pro Monat mehrere Stifte leer. Dennoch reichten ihre eigenen alten Stifte nicht aus. „Erst sammelte ich ein Jahr lang selber, dann kam mir die Idee, das öffentlich zu machen.“ Grit Wolff steckte Flyer in die Briefkästen ihrer rund 50 Nachbarn, die in dem vierstöckigen Bürokomplex in der Straße Zum Jagenstein ihren Firmensitz haben. Sie warb bei Freunden, ihrer Familie und im Sportverein dafür, dass jeder mal seinen Schreibtisch ausmistet. Gibt es etwas bei ihr zu feiern, dann sollen die Gäste keinen Kuchen oder Sekt mitbringen, sondern Stifte. Ideal wäre es, wenn sich auch Schulen an ihrer Stiftesammelei beteiligen würden.

Das Recycling wird belohnt: Pro Stift spendet der Stifte- und Feuerzeughersteller BIC zwei Cent. Recycelt werden die Stifte über eine Firma namens TerraCycle. Die haben mit rund 30 internationalen Firmen wie Colgate oder Nestle Kooperationen geschlossen, um weltweit alte Stifte, leere Getränkeverpackungen oder alte Zahnbürsten zu sammeln. TerraCycle verwertet den Müll. Dabei werden die Stifte auseinandergenommen, die verschiedenen Plastikmaterialien werden geschreddert und sortiert, magnetische und nichtmagnetische Metalle voneinander getrennt. Als Dankeschön für das Sammeln zahlen Stifte- oder Zahnpastahersteller an die Sammler kleine Beträge und werben damit, ihre Produkte nachhaltig zu entsorgen. Die Sammler wiederum verpflichten sich, das Geld für ihren Abfall an eine gemeinnützige Organisation zu spenden.

Rund 155 Kilo Stifte landen pro Jahr in der deutschen TerraCycle-Zentrale in Berlin. Auch in der Schweiz und Österreich werden Abfälle von der Firma weiterverarbeitet. Für einen Blumentopf, der komplett aus recyceltem Plastik hergestellt wird, braucht man rund 200 alte Kugelschreiber, erklärt Marie Schütz, Pressesprecherin von TerraCycle. Für eine Mülltonne mit 120 Liter Fassungsvermögen werden rund 3000 Kugelschreiber benötigt. Auch Gießkannen oder Stiftehalter lässt die Firma erstellen.

Pro Jahr kommt Grit Wolff mit ihrer Ausbeute auf etwas mehr als zwei Blumentöpfe. „Ich sammle meist rund fünf Kilo“, sagt Grit Wolff. Um sich besser vorzustellen, wie viel das ist, greift die Grafikdesignerin mit beiden Händen in die Box voller Stifte. „Fünf Kilo sind ungefähr 45 Hände voll.“  Das klingt nach einer Menge, doch der Ertrag ist gering. Pro Jahr zahlt ihr TerraCycle zwölf bis 14 Euro aus. Mit dem Geld unterstützt die Umweltschützerin ein Projekt in Indien, das Mädchen aus armen Kasten von der Straße holt. „Auch wenn das nur ein kleiner Betrag ist, weiß ich, dass es in Indien sehr viel bewirkt.“

Grit Wolff geht es um die Idee, nicht ums Geld. Doch beim Schreibtischaufräumen an die Sammelbox zu denken, sei nicht einfach. „Ganz automatisch schmeißt man einen leeren Stift in den Mülleimer“, sagt die Grafikerin. Die Herausforderung sei, genau in dem Moment an das Sammelprojekt zu denken. „Selbst mein Mann, der mir schon oft versprochen hat, auszumisten, hat mir noch keinen Stift gebracht.“ Zum Glück zeigen die Büronachbarn mehr Elan. Neben dem Briefkasten werden mittlerweile auch am Empfang alte Stifte gesammelt. „Der Mitarbeiter am Empfang ist von dem Projekt begeistert“, sagt die Grafikerin. Neugierig hebt er jeden Morgen den Deckel der Schachtel und rechnet aus, wie viel Stifte noch zusammenkommen müssen, damit es endlich für eine Mülltonne reicht.

Alte Stifte können in der Waldstadt II, Zum Jagenstein 3, im Briefkasten des Grafikbüros Kittyfix abgegeben werden.

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