Landeshauptstadt: Erste Schritte mit Acht
In der Neuroorthopädie werden spastische Lähmungen in Operationen gelöst
Stand:
„Chefarzt“ steht auf dem Namensschild von Dr. Gerd Pietsch, „Stationsschnuckel“ auf dem von Lukas. Der fröhliche Junge gilt als kleines Wunder.
Als er vor zwei Jahren mit seiner Mutter in die Ambulanz der Abteilung Neuroorthopädie der Oberlinklinik kam, „folgten die schlechten Nachrichten Schlag auf Schlag“, erinnert sich Mandy Wiesener. Beide Hüften ihres Sohnes waren ausgerenkt, die Muskeln stark verspannt, er litt unter starken Schmerzen. Lukas war als Frühchen in der 31. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen, seine Lungen hatten nicht ausreichend gearbeitet, so dass das Gehirn mit Sauerstoff unterversorgt war. Das wiederum löste spastische Lähmungen aus, die in seinen ersten Lebensjahren zum Hüftleiden führten. Muskelkrämpfe und Deformationen seien häufige Folge des geschädigten Nervensystems, erklärt Chefarzt Pietsch. Um diese Menschen individuell therapieren zu können, eröffnete vor anderthalb Jahren das Oberlinhaus seine Spezialabteilung in einer auf die Fachklinik aufgesetzten Etage mit Blick über Babelsberg. Im Unterschied zur normalen Orthopädie, die vor allem altersbedingte Verschließerscheinungen behandele, seien seine Patienten meist jung. 43 Prozent waren 2006 unter 14 Jahre alt. „Also in einem Alter, wo auch Entwicklungsschübe Hilfe leisten“, sagt der Facharzt. Deshalb entschloss man sich, Lukas’ Hüften zu rekonstruieren, wie Oberarzt Ulrich Drohla erklärt. Mit einem Gehtrainer versucht der tapfere Junge jetzt, die ersten eigenen Schritte zu gehen. „Es gab auch Rückschläge“, sagt der Achtjährige und schielt dabei über den Brillenrand. Die Knochen des kleinen Patienten seien durch die Jahre im Rollstuhl anfangs zu weich gewesen, sagt Drohla. Dass Lukas jemals auf eigenen Beinen stehen würde, damit haben die Ärzte nicht gerechnet.
Chefarzt Pietsch versteht sich als „Co-Behandler“. Der operative Eingriff sei das eine, wichtiger aber sei die langwierige Nachbehandlung in der Reha und darüber hinaus. Man wolle den Patienten und ihren Betreuern das Leben erleichtern. Schmerzfreiheit und die Vermeidung von zusätzlichen Deformationen gehörten zu den Zielen – so auch bei der zehnjährigen Helena. Bei seiner Geburt war das Mädchen gesund, erlitt dann aber im sechsten Lebensmonat eine Hirnentzündung, die das zentrale Nervensystem dauerhaft schädigte. Helena ist blind, leidet an Epilepsie und ebenso wie Lukas an spastischen Lähmungen, die die Hüftköpfe aus der Hüftpfanne zu drücken drohten. Auch sie wurde operiert und kann jetzt zumindest in einem Stützgestell stehen. Dann juchze sie immer und zeige deutlich ihren Spaß an den neuen Eindrücken, erzählt ihre Mutter Mirjam Levin. Dass die Patienten sich meist verbal nicht verständlich machen könnten, erschwere ihre Betreuung, sagt Chefarzt Pietsch. Neuroorthopädie sei deshalb auch kaum theoretisch vermittelbar, sagt Stationsschwester Melanie Schwarzwald. Zu Beginn ihrer Tätigkeit bei Oberlins sei sie ein bisschen unsicher gewesen, gibt die ausgebildete Krankenschwester zu. Man merke aber sehr schnell, dass man den Patienten „viel Gutes“ tun könne. „Die geben sich hier alle viel Mühe“, lobt Lukas. Seine und auch Helenas Mutter pflichten ihm bei. Einrichtungen dieser Art seien rar, sagt die Berlinerin Mirjam Levin. Die Wieseners reisen sogar aus Halle an. 363 neuroorthopädischen Fälle betreute die Abteilung im vergangenen Jahr. Das Gros kam aus Brandenburg und Berlin, aber auch aus angrenzenden Bundesländern.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: