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Fulbright-Stipendiat Dr. Christopher Leslie über seinen Gastaufenthalt an der Universität Potsdam

Stand:

Dr. Christopher Leslie ist momentan Austauschprofessor im Institut für Anglistik/Amerikanistik der Universität Potsdam. Er ist der erste Vertreter der Fulbright-Professur, die drei Jahre lang mit mehreren Gastwissenschaftlern aus den USA besetzt wird. Die PNN haben mit dem Kulturwissenschaftler aus New York gesprochen.

Herr Leslie, Sie arbeiten in New York City und sind seit Anfang des Wintersemesters in Potsdam. Wo kommen Sie ursprünglich her?

Ich komme aus einer kleinen Stadt südwestlich von Buffalo, im US-Bundesstaat New York. Das ist eine Gegend in der es sehr viel Landwirtschaft gibt, aber auch eine Hochschule. Also waren einige meiner Freunde Lehrerkinder, andere waren Kinder von Landwirten oder Landarbeitern. Ich bin in einem Städtchen aufgewachsen, aber gleich jenseits des Stadtrands gibt es sehr viel Wein- und Obstanbau, auch Viehwirtschaft. Nach dem College bin ich dann nach New York City gezogen. Es ist also die Geschichte eines Jungen vom Land, der in die Großstadt zieht. In New York habe ich dann mein Studium beendet und promoviert.

Wie sind Sie zum Wissenschaftler geworden?

Im College wollte ich Computertechniker werden. Ich war gut in Mathe und Informatik. Die kulturellen Aspekte der Technologieentwicklung haben mich aber mehr interessiert. Computerprogramme zu schreiben ist ziemlich mühsam. Manchmal sucht man stundenlang nach einem kleinen Fehler im Code, der einem alles verdirbt. Ich habe dann meine Studienfächer gewechselt und viel für die Uni-Zeitung geschrieben. Schließlich habe ich einen Abschluss in Englisch gemacht. Jetzt mache ich Kulturwissenschaften und Technologiegeschichte.

Sie haben in einer Unternehmensberatung gearbeitet. Wie kam es dazu?

Als Junge vom Land, der in die Großstadt gezogen war, musste ich mich an die wirtschaftlichen Gegebenheiten in New York anpassen. Ich hatte nicht genug Geld, um zu studieren und die Miete zu bezahlen. Also musste ich arbeiten gehen. Ich hatte großes Interesse an Zeitungen und Journalismus. Zu dieser Zeit spielten PCs im Publikationsgeschäft eine immer größere Rolle. Ich kannte mich mit beidem aus. Ich habe für verschiedene Zeitungen gearbeitet und landete schließlich bei einer Unternehmensberatung. Ich habe dann acht Jahre lang dort gearbeitet.

Das ist interessant, denn Sie sehen aus, als kämen Sie aus der Wirtschaft. Sie tragen Hemd und Krawatte. Wie passt das zu einem Geisteswissenschaftler?

Ich denke viel daran, dass meine Studenten mal einen Job finden müssen. Einerseits finde ich es gut, dass es in den Geisteswissenschaften nicht nur um die Karriere geht. Auf der anderen Seite sehe ich auch, dass viele Menschen Probleme haben, ihr Studium zu finanzieren. Gerade in den USA haben viele Studenten große Schulden am Ende ihres Studiums. Mir wurde klar, dass viele meiner Studenten entweder von der Arbeit in die Uni kommen, oder nach dem Seminar zur Arbeit gehen. Da habe ich auch angefangen, mich sorgfältiger anzuziehen. Aus Respekt. Denn viele Studenten müssen hart kämpfen. Ich versuche, das nicht zu vergessen.

Sie geben in ihrem ersten Potsdamer Semester ein Seminar namens „Digitale Geisteswissenschaften“. Was unterrichten Sie da?

„Digitale Geisteswissenschaften“ sind der Versuch, zu verstehen, wie geisteswissenschaftliche Themen und digitale Medien zusammenhängen. Oder aneinander vorbeireden. Das könnte schon ein ganzer Studiengang für sich sein. Was machen wir mit den Geisteswissenschaften im digitalen Zeitalter? Warum sind digitale Medien für die Geisteswissenschaftler von Bedeutung? Wie kann man sie zur Verbreitung von Inhalten nutzen? Wie kann man herkömmliche Ansätze dank Multimedia verbessern? Also interessieren sich manche meiner Studenten für die pädagogischen Möglichkeiten der neuen Medien. Andere sehen sich Online-Gedichte an. Und es gibt ganz neue kulturelle Ausdrucksweisen in den neuen Medien. Es gibt eine sehr ausgeprägte digitale Poetik und interaktive Poesie. Viele Autoren arbeiten inzwischen nur noch mit digitalen Medien.

Wie profitieren Sie wissenschaftlich von Ihrem Aufenthalt in Potsdam?

Ich war sehr glücklich, als mich die Fulbright-Kommission nach Deutschland geschickt hat. Ich interessiere mich für Technologiegeschichte, und so viel davon ist in Deutschland passiert. Außerdem arbeite ich gerade an einem Manuskript zu Science-Fiction-Literatur. Das ist ein Genre, das gerade während des Kalten Krieges von großer Bedeutung war. Da ist es natürlich spannend, in Potsdam und Berlin zu forschen.

Was folgern Sie aus Ihrer Erfahrung in zwei unterschiedlichen Uni-Systemen? Was gefällt Ihnen an der deutschen Universität, was würden Sie ändern?

Mir gefällt, dass hier so viel Zeit für die Forschung bleibt. In den USA sehen viele Wissenschaftler die deutsche Uni als einen Hoffnungsträger für eine wissenschaftliche Kultur, die die Forschung hochhält. Mir ist aber aufgefallen, dass es hier wenig Unterstützungsangebote für die Studenten gibt. In den USA gibt es viele Hilfsangebote, etwa wenn Studenten Probleme haben, ihre Arbeiten zu schreiben. Auch fehlt mir das ausgeprägte Sozialleben der US-Universitäten: Klubs, Sportvereine, und so weiter. Solche Angebote können die Studenten an die Hochschule binden. Sie können dort ihre Probleme besprechen und der Studienerfolg steigt.

Das Gespräch führte Mark Minnes

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