Von Nicola Klusemann: Es sollte wahr sein
Anja Kling im Gespräch mit Helmholtz-Schülern über den Fernsehfilm „Wir sind das Volk“
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Für die Neunt- und Zehntklässler des Helmholtz-Gymnasiums ist der Fernsehzweiteiler „Wir sind das Volk“ ein Geschichtsfilm. Für ihren Schuldirektor Dieter Rauchfuß „lebendiges Leben“. Er hat den Mauerfall erlebt, wenn auch von der anderen Seite, wie er sagt. Hätte es im November 1989 „diese mutigen Menschen nicht gegeben, wäre ein Drittel von euch nicht hier, weil aus dem Westen und ein weiteres Drittel, weil es die falschen Eltern hat“, sagte Rauchfuß nach der gestrigen Vorführung der 120-minütigen Kurzversion des TV-Dramas im Filmmuseum. Die erzählten Geschichten um den Mauerfall vor 20 Jahren wurden im Rahmen des Medien- und Kommunikationskurses am Helmholtz-Gymnasiums gezeigt. Deshalb fielen die Fragen an die anwesende Hauptdarstellerin Anja Kling in der anschließenden Diskussion zunächst eher medienorientiert aus: Wie wurden Sie Schauspielerin? Wie gehen Sie mit Ruhm um? Welche Rollen würden Sie ablehnen? Übernehmen Sie Stunts selbst? Was planen Sie als nächstes? Und: Warum musste der Filmtitel den Zusatz: „Liebe kennt keine Grenzen“ haben? Das habe der Auftraggeber Sat.1 so verlangt. „Da geht nichts ohne Liebe“, sagte Anja Kling mit leicht ironischem Unterton.
Und dann wurde es doch ernst. Die Wilhelmshorsterin hat im Wendejahr an der damaligen Helmholtzschule, eine Erweiterte Oberschule, Abitur gemacht. Danach habe ein schwarzes Kapitel ihrer Jugend begonnen. Sie sei mit ihrem Freund, ihrer Schwester und deren Freund über die tschechische Grenze in die BRD geflüchtet, erzählte Anja Kling. „Wir waren komplett eingesperrt, durften nicht sagen was wir denken: In diesem Land wollte ich nicht alt werden“, erklärte sie der beeindruckten Zuhörerschaft ihre Motive. In einem bayerischen Auffanglager angekommen, hätte sie dann nur noch geweint, so sehr habe ihr die Trennung von ihren Eltern zugesetzt. Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte sie ihre Eltern womöglich nie wieder gesehen. „Die wenigen Tage waren wie ein gefühltes halbes Jahr“, so Kling. Diese und andere Erfahrungen hätten ihr geholfen, in dem Fernsehfilm authentisch zu sein. In „Wir sind das Volk“ spielt sie Katja Schell, die bei dem Versuch, mit ihrem Sohn über die Grenze zu ihrem Freund und Kindesvater zu fliehen, geschnappt wird. Sie gerät in die Fänge der Staatssicherheit und kommt schließlich in das Gefängnis in Berlin Hohenschönhausen – ohne zu wissen, was mit ihrem Kind ist.
Sie habe sich um die Rolle redlich bemüht, musste – was nach zwei Jahrzehnten Berufserfahrung eher unüblich ist – mehrfach vorsprechen. „Ich wollte, dass der Film die Wahrheit erzählt“, sagt Anja Kling. Das Produktionsteam um Regisseur Thomas Berger habe viele Zeitzeugen ans Set geholt. Anja Kling bekam als persönlichen Berater Matthias Melzer, der als 22-Jähriger für fünf Monate im Stasi-Gefängnis einsaß, an die Seite gestellt. Einzelhaft, Schlafentzug und subtile Verhörmethoden hätten ihn gebrochen, schilderte die Schauspielerin. An Melzer habe sie ablesen können, was psychologisch geschulte Vernehmer einem Menschen antun können. Die Begegnung und der Rat dieser Zeitzeugen habe den Zweiteiler so wahr gemacht, was viele aus der älteren Generation – so auch die Eltern Kling – bestätigt hätten. Ob auch Mitarbeiter der Staatssicherheit als Berater am Film beteiligt gewesen seien, wollte ein Schüler wissen. „Die hätten wir wirklich gerne gehabt“, sagte Anja Kling. Von den Vernehmern würde sich aber keiner freiwillig hinstellen und sagen, „genau so habe ich damals die Leute verhört“. Deshalb habe man sich bei den Dreharbeiten nur auf die Aussagen der Opfer gestützt.
Nicola Klusemann
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