Aus dem GERICHTSSAAL: „Es war ein Albtraum!“
Schlug vermeintliches Opfer zuerst zu? / Freispruch
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„Mein erster Gedanke war: Sie betreibt Kampfsport. Mir hat nach dem Schlag tagelang der Kopf gedröhnt“, schildert Gisela G.* (67) im Zeugenstand. „Außerdem war meine Zahnprothese kaputt.“ Jana J.* (38) auf der Anklagebank kontert: „Die Frau hat zuerst zugehauen. Ich habe mich nur gewehrt.“ Die freischaffende Künstlerin war am 28.Januar vorigen Jahres mit ihrem Auto auf der B1 unterwegs. Kurz hinter Potsdam soll ihr Gisela G. mit ihrem Zuzuki die Vorfahrt genommen haben. Jana J. fuhr auf den Wagen der Älteren auf. Danach – so die Staatsanwaltschaft – soll sie der Rentnerin einen heftigen Fausthieb ins Gesicht versetzt haben.
„Ich war erleichtert, weil bei dem Crash augenscheinlich nichts passiert war“, versichert die wegen Körperverletzung Angeklagte. Doch Gisela G. habe ihr wortlos ihre Faust ins Gesicht gedrückt. „Da habe ich reflexartig zurückgeschlagen und gesagt: Blöde Kuh, Ihnen ist doch gar nichts passiert“, berichtet Jana J. „Dann bin ich davongefahren.“
„Ich stand nach dem Zusammenstoß komplett neben mir. Als ich wieder einigermaßen klar denken konnte, habe ich sie gefragt, warum sie nicht gebremst hat. Schließlich fuhr ich schon einige Zeit vor ihr, bevor es krachte“, so Gisela G. Statt einer Antwort sei sie von der Angeklagten unter anderem als alte Tussi betitelt worden, habe dann deren Faust auf dem Mund verspürt. „Von meiner Prothese waren links drei Zähne zerbrochen, rechts einer. Außerdem war mein Auto beschädigt. Das war der Albtraum meines Lebens“, resümiert die Seniorin. Sie sei noch am selben Tag zur Polizei gegangen. Doch die Beamten hätten sie gebeten, später wiederzukommen. Die gleiche Antwort erhielt auch Jana J., die ebenfalls Anzeige erstatten wollte. „Wir hatten einen Großeinsatz wegen eines demenzkranken Heimbewohners, der verschwunden war“, erinnert sich ein als Zeuge geladener Ordnungshüter. Deshalb seien die Unfallgegner erst am nächsten Tag angehört worden.
„Kann es sein, dass Sie doch zuerst zugelangt haben?“, wendet sich die Staatsanwältin an die ältere Dame. Gisela G. ringt sichtlich mit sich, gesteht dann: „Ich weiß gar nichts mehr, und wenn Sie mich noch so löchern. Auf alle Fälle hat mir die Angeklagte ein Ding geplättet, und das war nicht von schlechten Eltern.“ Der Verteidiger will einen Zeugen benennen. Der soll bestätigen, dass seine Mandantin nach dem Vorfall über eine geschwollene Lippe klagte. Doch Staatsanwaltschaft und Gericht haben genug gehört. „Die ganze Situation kommt mir ein bisschen abstrus vor“, bringt es die Vertreterin der Anklagebehörde auf den Punkt. Sollte die Rentnerin den ersten Schlag geführt haben, hätte Jana J. in Notwehr gehandelt. Doch dies habe die Beweisaufnahme nicht zweifelsfrei ergeben. Sie beantragte daher „Freispruch mangels Tatnachweises“. Dem folgte das Gericht unter Vorsitz von Francois Eckardt. (*Namen von der Redaktion geändert.) Hoga
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