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INTERVIEW MIT PROF. DIETMAR STURZBECHER, POTSDAMER JUGENDFORSCHER: „Es wird auch in Zukunft solche Vorkommnisse geben“

Herr Prof. Sturzbecher, dem Messerstich auf David Fischer ging eine Massenschlägerei voraus, die mit einem Streit um ein T-Shirt begann.

Herr Prof. Sturzbecher, dem Messerstich auf David Fischer ging eine Massenschlägerei voraus, die mit einem Streit um ein T-Shirt begann. Wie kann es dazu kommen, dass ein Streit zwischen Jugendcliquen,die sich eigentlich kennen, so endet?

Zunächst einmal: Sich kennen heißt ja nicht unbedingt, sich auch zu schätzen. Doch was den jungen Afghanen dazu gebracht hat, das wohl schnell zur Hand gewesene Messer als tödliche Waffe zu gebrauchen, ist wohl eher auf ein Bedingungsgeflecht aus Situations- und Persönlichkeitsmerkmalen zurückzuführen. Es gehört eine gewisse Übung dazu, einen so präzisen Messerstich auszuführen. Dann wird es Provokationen auf beiden Seiten gegeben haben. Und Gewaltbereitschaft, offensichtlich sowohl beim Täter als auch beim Opfer, vermutlich gekoppelt an eine in Jugendszenen hochgeschätzte Währung: Anerkennung. Durch die außergewöhnlich brutale und somit von hoher Aufmerksamkeit begleitete Handlung hat Ajmal vermutlich versucht, sich selbst aufzuwerten – und dies vor den Augen der eigenen wie der gegnerischen Clique. Risiko- und Folgenabschätzungen sind da eher zweitrangig und fallen Jugendlichen schwerer als Erwachsenen. Es gilt, sich furchtlos und als Mann der Tat zu präsentieren, notfalls auf Kosten des Lebens Anderer. Gerade weil er eine unauffällige Figur war, kann der Wunsch, mit so einer Tat zu renommieren, als Motiv eine Rolle gespielt haben.

Haben solche Taten eine neue Qualität?

Messerstechereien mit tödlichem Ausgang gibt es so lange wie es Messer gibt. Sie sind aber in Potsdam Ausnahmeerscheinungen. Eine neue Qualität von Gewalt ist in dieser Hinsicht nicht zu verzeichnen: Bei den Körperverletzungen mit Todesfolge lässt sich bei jungen Männern bis 24 Jahre sogar ein deutlicher Abwärtstrend feststellen.

Lassen sich solche Tragödien überhaupt vermeiden?

Ich glaube nicht, dass sie sich wirklich vermeiden lassen. Insgesamt zeigen die Daten der aktuellen Studie „Jugend in Brandenburg“, dass die Bemühungen zur Gewalt- und Extremismusprävention Früchte tragen. Obwohl aber immer weniger Jugendliche auf Landesebene Gewalt und Extremismus akzeptieren, blieb der Bodensatz krimineller gewalttätiger und extremistischer Jugendlicher seit 1993 zahlenmäßig ziemlich stabil. Deshalb und weil die Eskalationsdynamik beim Zusammentreffen „gegnerischer“ Jugendgruppen kaum vorhersehbar ist, wird es auch in Zukunft derartige Vorkommnisse geben. Dies ist aber kein Grund, die Präventionsanstrengungen zurück zu fahren. Interview: HK

DIETMAR STURZBECHER ist Professor für

Jugendsoziologie an der Universität Potsdam und leitet dort das Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung.

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