Sport: Etwas Druck muss sein
Paul Biedermann im Finale über 200 Meter Freistil
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Berlin - Paul Biedermann wollte schon wieder schnell weg. Diesmal flüchtete der deutsche Schwimmer allerdings nicht vor kritischen Fragen wie nach seinem Vorlauf-Aus über 400 Meter Freistil. Er wollte sich auf dem kürzesten Weg in Richtung Ausschwimmen, Massage, Regeneration und Entspannung aufmachen.
Vor der Schwimm-Europameisterschaft in Berlin hatte Biedermann bereits angekündigt, viel Erholung zwischen den Rennen zu brauchen. Mit 28 Jahren ist der Hallenser nicht mehr der jüngste Schwimmer. Die vergangene Saison hatte er komplett ausgesetzt, kurz vor der EM musste er krank mit dem Training pausieren. Nach seinem missglückten EM-Auftakt am Montagmorgen waren Zweifel an Biedermanns Form aufgekommen. Hatte sich der Weltrekordler lediglich verpokert? Oder fehlte ihm tatsächlich die Kraft für eine gute Zeit über 400 Meter?
Am Dienstagmorgen zeigte Biedermann, dass seine Form durchaus tauglich ist für eine Europameisterschaft. In 1:46,62 Minuten schwamm er über seine Lieblingsstrecke 200 Meter Freistil die mit Abstand beste Zeit aller Vorläufe. „Es war okay, ich musste voll schwimmen“, sagte Biedermann. „Ich wusste, das würde heute früh schnell werden. Ich musste alles geben, und das habe ich getan.“ Der Russe Artem Lobusow war als Zweitschnellster fast eine Sekunde langsamer, Frankreichs Doppel-Olympiasieger und Weltmeister Yannick Agnel wurde nur Neunter. Auch beim Halbfinale am Abend war er in 1:46,69 Schnellster aller Halbfinalisten, Agnel kam als Siebtbester über die Zeit ins Finale. Mittwochabend will Biedermann im Endlauf seine erste Medaille bei diesen Europameisterschaften.
Vor der EM hatte Biedermann offen gelassen, wie oft er an den Start gehen würde. Einen Verzicht auf die 200 Meter Freistil hatte er allerdings als „allerletzte Option“ bezeichnet. Das Duell gegen Agnel am Mittwoch soll ein Höhepunkt dieser Europameisterschaft werden. „Er ist für mich der ganz große Star in Berlin“, sagt Biedermann über seinen Konkurrenten. „Wenn man gegen Agnel schwimmt, schwimmt man auch gegen Michael Phelps.“ Um in seiner Vorbereitung auf Olympia 2016 neue Akzente zu setzen, war der Franzose 2013 in die USA zu Trainer Bob Bowman gewechselt, der auch Rekord-Olympiasieger Phelps betreut. In Berlin konnte Agnel bislang aber nicht glänzen und war wie Biedermann über 400 Meter Freistil im Vorlauf gescheitert.
Der 22 Jahre alte Agnel hat noch viele gute Jahre im Hochleistungssport vor sich, in Paul Biedermanns Karriere werden die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro in zwei Jahren definitiv der letzte Höhepunkt sein. „2016 mache ich Schluss“, hat Biedermann angekündigt. „Leistungssport kann man nur im Moment genießen. Dazu möchte ich die Zeit und diese EM noch nutzen.“ Auch angesichts dieses Genussplans ärgerte sich Biedermann sehr, dass seine Vorbereitung durch eine Erkrankung gestört wurde. „Ich dachte, ich hätte nach zehn Jahren wirklich alles hinter mir“, sagte er. „Aber nein, ich musste noch eine neue Situation erleben. Ich hoffe, dass ich jetzt wirklich alles durchhabe, auch im Hinblick auf die nächsten zwei Jahre und Olympia.“
Durch eine weitere, lange Krankheitspause im Vorjahr hat Biedermann etwas Abstand zum Schwimmen gewonnen. „Es macht für mich vieles einfacher. Weil ich weiß, wie es ist, nicht zu schwimmen“, sagt er. Der Druck sei einfach nicht mehr so groß. So ganz ohne Druck geht es aber auch nicht, wie sein verschlafener EM-Auftakt bewies. Als Anfängerfehler wollte Biedermann sein verbummeltes 400-Meter-Rennen aber nicht bezeichnen lassen. „Anfänger bin ich nicht, dafür bin ich zu lang dabei.“ Natürlich sei das Ausscheiden aber seine eigene Schuld gewesen, bekannte er reumütig: „Man lernt eben nie aus.“ Lars Spannagel
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