
© Andreas Klaer
Von Guido Berg: Etwas muss vibrieren
Kinderuniversität in Golm: Prof. Gerhard erklärt in seiner Physik- Vorlesung, wie der Ton die Musik macht
Stand:
Der Hörsaal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Hunderte Schüler sind gestern zur Kinder-Universität nach Golm gekommen und viele von ihnen wollen die Vorlesung in Physik hören. Physik, weiß der achtjährige Finn, der einen Platz in der ersten Reihe ergattert hat, „ist irgendwas Wissenschaftliches“. Aber er stehe nicht so sehr auf Physik, erklärt der Schüler aus Saarmund, „eher auf Naturwissenschaften “. Die Frage, was Physik ist, beantwortet die gleichaltrige Luise so: Sie lässt einen Bleistift von einer Hand in die andere fallen und sagt dabei: „Das hier.“ Gravitation, Schwerkraft der Erde, sehr schön. Alex mault: „Kein Wunder, dass die das weiß, die schmeißt immer ihren Bleistift runter.“
Plötzlich dröhnen stumpfe Warnsignale durch den Hörsaal, zwei Leuchtschriften leuchten auf: „Achtung! Drehbühne fährt.“ Die Kreidetafeln drehen sich um die eigene Achse und verschwinden im Vorbereitungsraum. Zum Vorschein kommt Prof. Reimund Gerhard, ein bühnenreifer Auftritt, der an Michael Jackson erinnern würde, wären da noch Blitz, Nebel und Donner. Mit dem Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät erscheint ein langer Experimentiertisch, auf dem einige sonderbare Gerätschaften stehen. Das allgemeine Gemurmel ertrinkt in einer erwartungsfrohen Neugier. Die Augen werden größer.
„Hhmmmm“, stimmt Prof. Gerhard an und fasst sich dabei an den Kehlkopf. Die Dritt- und Viertklässler machen es ihm nach. „Hhmmm “ Das Erkenntnisziel: Es muss vibrieren, damit es einen Ton gibt. Dann streicht der Professor mit einem Geigenbogen über eine gespannte Saite, aber der Ton ist kläglich. Der Bogen muss noch klebrig gemacht werden. „Wer weiß, womit?“ Mit Kolophonium, einem Baumharz, erklärt ein Mädchen. Geharzt erzeugt der Bogen nun einen kräftigeren Klang. Der Professor erläutert, dass die Saite immer ein wenig am Bogen festklebt, sich losreißt, wieder klebt, losreißt, klebt Das erst erzeugt den Geigenton. Danach bringt der Physiker mit Hilfe einer sich dank einer Bohrmaschine drehenden Scheibe einen daran befestigten langen Schlauch zum Schwingen. Gerhard referiert über Wellentäler und Wellenbäuche – seine Einführungsvorlesung in die Grundlagen der Akustik gewinnt an Fahrt. „Wir sagen Frequenz dazu.“ Die ersten Schüler beginnen – schon ganz erstsemestertauglich – nach der Uhr zu schielen. Einige schauen aus dem Fenster, andere stützen mühevoll ihren immer schwerer werdenden Kopf, wieder andere kämpfen erst gar nicht dagegen an und legen ihn gleich auf der Bank ab.
Da schrillt eine Pfeife – und alle sind wach. Der Professor genießt einen Augenblick die Wirkung seiner Überraschung und erklärt dann die Wirkungsweise der Trillerpfeife. Die gepustete Luft trifft auf eine Kante, „wie ein Finanzbeamter weiß sie nicht, was sie tun soll“, so der Professor, entweder geht die Luft nach oben oder nach unten weg. Mal nach oben, mal nach unten, „es entsteht eine Oszillation“, das macht den Trillerton. Nachdem der Dekan noch die Wirkungsweise eine Mundharmonika erläutert hat, pustet er in Flaschen, darin Wasser. Viel Wasser, hoher Ton, wenig Wasser, tiefer Ton.
Nun wird Gerhard systematisch, er notiert an der Tafel die Überschrift: „Was schwingt?“ Die Schüler schreiben eifrig mit. Idiophone, das sind Instrumente, die gleich selber schwingen, etwa Glocken. Chordophone sind Saiteninstrumente, zu den Membranophonen gehören Trommeln. In Aerophonen dagegen schwingt die Luft, beispielsweise bei Blasinstrumenten. Bei manchem Kind qualmt zu diesem Zeitpunkt bereits der Schädel, aber Prof. Gerhard ist in seinem Element und schiebt gleich noch nach, was ein Generator ist und was der Resonator. Der Generator ist das, was schwingt, etwa die Lippen bei einer Trompete. Der Resonator, das Trompetenrohr, wählt durch seine jeweilige Länge den Ton aus. Der Radiator dagegen verstärkt die Schallschwingungen, den Ton. Gerhard demonstriert zunächst nur das Mundstück eines Blasinstruments, der Ton ist leise. Dann setzt er ein Megaphon auf, ein Rohrstück, das sich auf der Hörerseite weit öffnet: Der Ton ist laut, alle Schüler schrecken hoch.
Zum Schluss schraubt Prof. Gerhard aus drei Teilen eine Querflöte zusammen, greift sich einen Notenständer und spielt ein Lied vom „Pan, dem Gott des Waldes,und den Nymphen, die ihm zuhören“. Der Dekan erhält tosenden Applaus. Mädchen laufen nach vorn und wollen ein Autogramm von ihm unter ihre Vorlesungsmitschrift. „Ich hab’ fast alles mitgeschrieben, was Sie gesagt haben“, himmelt ihn eine Schülerin an. Ein Moment lang ist es wieder ein wenig wie bei Michael Jackson.
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