Homepage: Europa auf dem Abstellgleis? Ordnungsmacht USA:
Disput im Einstein Forum
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Disput im Einstein Forum Falls Perry Andersons politische Analyse zutrifft, steht es nicht gut um die weltpolitische Gestaltungskraft Europas. Sein nachdenkliches Fazit: „Wenn sie Europa verstehen wollen, müssen sie es aus amerikanischer Perspektive studieren.“ Europa habe die Führungsrolle der USA längst, jedoch ohne es offen einzugestehen, akzeptiert. „Keine bedeutende Theorie zur Weltordnung“ kommt derzeit aus Europa, stellte der Brite im Einstein Forum ernüchtert fest, denn viele europäische Nationen hätten den britisch-amerikanischen Neoliberalismus bereits als vermeintlich alternativlos akzeptiert. „Die strukturellen Unterschiede zwischen den USA und den europäischen Nationen“ seien seit Ende des Kommunismus vor 15 Jahren stark geschrumpft. Der Historiker und Soziologe war der Einladung des Berliner Wissenschaftskollegs und des Einstein Forums gefolgt. Sein Vortrag „After Hegemony?“ eröffnete vergangene Woche vor etwa vierzig, vielfach englischsprachigen Gästen die neue Saison. Der größte Teil der Zuhörer schien Andersons Generation zu entstammen. Der 67-jährige Herausgeber des 1960 gegründeten, britischen „New Left Review“ sprach ein wenig auch als Vertreter der nicht mehr ganz so neuen britischen Linken. In einem weiten Bogen führte Anderson durch die Geschichte der internationalen Beziehungen um schließlich einige Möglichkeiten der zukünftigen Weltordnung zu skizzieren. Mit Blick auf den wachsenden Einfluss potentieller wirtschaftlicher Supermächte wie China und Indien diskutierte er die Rolle der letzten verbliebenen Hegemonialmacht USA. Hegemonie ist dabei eine weichere Form von Herrschaft, so Anderson. Sie erlange, wer die moralische Zustimmung einer Gruppe gewinnt statt sie durch offene Gewalt zu erzwingen. Dieses Kriterium treffe momentan für die Rolle der USA unter den Industrienationen zu. Ihre Außenpolitik trage heute deutlich neoimperiale Züge. Wie lange dies noch so sein wird, wollte Anderson nicht voraussagen. Eine Wirtschaftskrise könnte die Weltlage schnell ändern. Er rechnet damit, dass die Hegemonie der USA langfristig in ein Spiel zwischen mehreren Supermächten auslaufen wird. „Das Zentrum wird sich in Zukunft nach Asien verlagern“ sagte er. Die Frage nach dem ideologischen Verhältnis Europas zur Ordnungsmacht USA war das eigentliche Thema in Andersons Vortrag. Seine These, dass die US-Außenpolitik momentan weitgehende moralische Zustimmung in der EU findet, war in der folgenden Diskussion umstritten. Andersons Argument: Der letztlich konsequenzlose Protest europäischer Regierungen gegen den zweiten Irakkrieg und das baldige Einlenken danach spreche dafür. Außerdem habe Europa die von den USA und Großbritannien praktizierte Idee des „militärischen Humanismus“ schon 1994 im Kosovo-Einsatz, der wie die zweite Irakinvasion ohne Zustimmung der UN erfolgte, angenommen. Diesen neuen militärischen Humanismus sah Anderson nicht zuletzt daher skeptisch, weil er das Prinzip nationalstaatlicher Souveränität verletze. Trotz seiner Skepsis am politischen Europa blitzte des Öfteren Selbstironie in den Worten des britischen Intellektuellen auf. Als eine Besucherin gegen Ende anmerkte, dass sie seinen Vortrag in einigen Punkten etwas zu optimistisch fand bedankte Anderson sich höflich erstaunt. Wohl wissend wie ernüchternd seine Analyse geklungen hatte, prostete er dem Publikum zu, und der Saal brach in Gelächter aus.Michael Krause
Michael Krause
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