
© Kinder- und Jugendbüro
Landeshauptstadt: Expedition ins Reich der Kinder
Potsdam will künftig bei der Stadtgestaltung mehr auf Familienfreundlichkeit achten. Mit einem „Masterplan Bewegen und Spielen“ sollen auch Kinder und Jugendliche miteinbezogen werden
Stand:
In der Erinnerung an die eigene Kindheit schwärmen Erwachsene selten von Spielplätzen mit Tüv-geprüfter Rutsche und Balancierstange. Eher sind es die Verstecke im Hinterhof, das Klettern über Zäune hinweg und darunter hindurch - dort, wo eben nichts normiert ist und wo die Großen auch nicht hinkommen.
Kindern mehr Freiräume in der Stadt für Spielen und Bewegen jenseits von Spiel- und Bolzplätzen zu lassen - das schreiben sich immer mehr Kommunen auf die Fahnen, um den Ansprüchen einer familienfreundlichen Stadt gerecht zu werden. Auch Potsdam will da mitziehen. Kinder und Jugendliche sollen sich deshalb künftig stärker an der Stadtplanung beteiligen können. Spielleitplanung ist das neue Zauberwort. Oder wie es für Potsdam heißt: „Masterplan Bewegen und Spielen“.
Das Land Rheinland-Pfalz hatte 1999 als erstes Bundesland die Spielleitplanung entwickelt und in verschiedenen Kommunen angewendet. Inzwischen hat das neue Planungsinstrument bundesweit Kreise gezogen. So hat Berlin als erste Großstadt vor einigen Jahren die Spielleitplanung in dem Modellprojekt Pankow-Weißensee getestet.
Das Neue daran ist, dass Kinder und Jugendliche systematisch bei der Bedarfsanalyse, bei der Planung und der Umsetzung von Bauprojekten miteinbezogen werden. Spielplätze sind dabei nur ein Aspekt. „Dieser Masterplan erfasst, bewertet und berücksichtigt alle öffentlichen Freiräume, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten und aktiv werden. Dazu gehören Spielplätze ebenso wie Jugendklubs, Baulücken, Grünanlagen, Straßen, Hauseingänge oder Plätze“, sagt die Beigeordnete für Soziales und Jugend, Elona Müller-Preinesberger. Doch wie lassen sich diese Freiräume nun kindgerecht bewerten und gestalten?
Ganz einfach: Indem man die Kinder und Jugendlichen als Experten ihrer eigenen Lebenswelt befragt, sie ernst nimmt und ihre Interessen in der räumlichen Planung berücksichtigt: „Kinder haben ein großes Alltagswissen über städtische Räume“, sagt Peter Apel, der die Stadt bei der Umsetzung des Masterplans berät. Diesen Blickwinkel der Kinder gelte es zu nutzen.
In Potsdam muss man dafür nicht bei Null anfangen. „Es gibt schon ganz viel Erfahrung mit pädagogischen Vorgehensweisen, wie man an das Expertenwissen der Kinder herankommt“, sagt Katja Altenburg vom Kinder- und Jugendbüro. Seit sieben Jahren setzt sich das Büro dafür ein, dass Kinder und Jugendliche bei Entscheidungsprozessen beteiligt werden und so mehr mitbestimmen können, etwa wenn es um die Gestaltung eines Spielplatzes geht. Zuletzt – und sozusagen als Vorarbeit für den Potsdamer Masterplan – haben im Herbst vergangenen Jahres 40 Jungen und Mädchen der Grundschule „Priesterweg“ Streifzüge durch ihren Stadtteil Drewitz unternommen. Damit wurden erstmalig Vorschläge von Kindern für ein ganzes Viertel dokumentiert.
Die Idee dahinter: die Kinder zeigen dem Planer ihre informellen Spielorte und Treffpunkte, damit dieser die Freiräume aus ihrem Blickwinkel sehen und bewerten kann. In Drewitz waren die Kinder als Kiezdetektive unterwegs, sie sollten „tolle Orte“, „blöde Orte“, „Geheimtipps“ oder „Orte, die gefährlich sind“ benennen. Das Ergebnis: Dreckige und verwahrloste Orte gelten den Kindern als gefährlich, ebenso wie Plätze, an denen sie von Trinkern „angemeckert“ wurden. Große Verkehrsschneisen, aber auch Parkplätze vor der eigenen Haustür, wie es sich die Erwachsenen oft wünschen, empfanden die Schüler als blöd. Toll hingegen waren meist naturbelassene Ecken, Gebüsche oder der Löschteich.
Nun gelte es, eine ganze Stadt für die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu sensibilisieren. „Es ist wichtig, dass solche punktuellen Projekte eine strukturelle Verankerung bekommen“, sagt Katja Altenburg. Sie erhofft sich, dass die Stadt an dem Thema dranbleibt.
Erste Schritte hat die Stadtverwaltung dafür getan. Die Fachbereiche Jugend und Soziales sowie Bauen werden künftig kooperieren und an einem noch auszuwählenden Stadtteil modellhaft den Masterplan umsetzen. Von dem Prozess erhofft sich Baubeigeordneter Matthias Klipp auch „eine neue Baukultur“. Diese solle nicht mehr nur vom Ergebnis her betrachtet werden, sondern auch vom Prozess her, dem Ringen mit allen Beteiligten um städtebauliche Lösungen.
Für Katja Altenburg vom Kinder- und Jugendbüro hat der Masterplan aber noch einen anderen positiven Nebeneffekt: Die Schüler üben sich in Demokratie. „Sie müssen sich absprechen, einigen und vor allem akzeptieren, dass manches beim Bauen einfach sehr lange dauert.“
Grit Weirauch
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: