Landeshauptstadt: Experiment der Verzweifelten
Der Potsdamer Arno Gorgels glaubt, die Weltformel gefunden zu haben, die „Superquantum-Theory“, die Theorie für alles, nach der schon Einstein suchte. Nun warnt Gorgels vor Kollisionsversuchen beim CERN
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Keine Ahnung, ob an seiner Theorie etwas dran ist. Sie basiert auf Mathematik und Journalisten gehören zu den Schreibern, nicht zu den Rechnern, zu denen, die in Deutsch gut waren und nicht so sehr in Mathe. Doch die Geschichte, die der Potsdamer Arno Gorgels anbietet, ist zu interessant, um sie nicht zu schreiben. Kann einer in seinen vier Wänden allein durch Nachdenken finden, wonach Albert Einstein und Stephen Hawking vergebens suchten? Wer weiß. Die Frage, ob Arno Gorgels „Science“ oder „Science Fiction“ betreibt, bleibt hier unbeantwortet. Eine Antwort an anderer Stelle aber ist ab Mai 2008 möglich.
Das europäische Nuklear-Großforschungsprojekt CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) hat seinen Sitz an der schweizerisch-französischen Grenze. Das Areal ist exterritoriales Gebiet, es gehört zu keinem Staat ähnlich wie die Vereinten Nationen in New York – oder wie Guantanamo auf Kuba, ein rechtsfreier Raum, in dem geht, was anderswo nicht geht.
Der Vergleich drängt sich dem auf, der den ausschweifenden Ausführungen Arno Gorgels lauscht. Der gebürtige Holländer gehört zu den Kritikern des am CERN geplanten „größten Experiments der Welt“. Der „Large Hadron Collider“ (LHC), der große Hadronenbeschleuniger, wird im Mai 2008 in Betrieb gehen. Der Teilchenbeschleuniger soll dann in bisher einmaliger Weise und Dimensionen Protonen miteinander kollidieren lassen. Gorgels beschreibt mit seinen Kassandra-Rufen kein Horror-Szenario, was er befürchtet, sind „begrenzte Phänomene“. Wenn sie nicht gleich die ganze Welt hinwegraffen, sondern nur die Stadt Genf zum Beispiel, dann seien sie ja begrenzt, ergänzt Gorgels auf Nachfrage trocken.
In größeren Szenarien zu denken ist durchaus Sache der Physiker, die sich mit der Frage beschäftigen, was die Welt und das Universum seit dem Urknall im Innersten zusammenhält. Auf ihrer Homepage rechnen die CERN-Physiker damit, dass bei ihrem Experiment kleine winzige schwarze Löcher entstehen könnten. Dass so ein „Mini-Blackhole“ die Welt verschlingen könnte, sei aber ausgeschlossen, dank der von Stephen Hawking entdeckten Hawking-Strahlung, der zufolge das kleine schwarze Loch so schnell wieder auseinanderbricht, dass es gar keine Zeit habe, „ein weltverschlingendes Ereignis“ zu sein. Schön, das zu hören.
Ach, winkt Arno Gorgels ab, Hawking hat bereits 2003 aufgegeben, die Weltformel zu finden. Ein Jahr danach begann der studierte Elektrotechniker selbst mit der Suche nach der Theorie für alles – und, nun ja, er glaubt, sie gefunden zu haben. Grundgedanke seiner „Superquantumtheorie“ ist die Quantelung der Strecke und somit, in allen Richtungen, des Raumes. Das besagt nichts anderes, als dass man ein Streichholz nicht endlos zerbrechen kann. Irgendwann hat man ein Fitzelchen Stück Holz in der Hand, dessen Enden so nah beieinander sind, dass sie nicht noch näher beieinander sein können. Die kürzest-mögliche Strecke vom Punkt A zum Punkt B.
Diese kürzeste Strecke haben Gorgels und seine Mitstreiterin Shevkinaz Bulut mathematisch in Beziehung gesetzt zur Lichtgeschwindigkeit. Das Ergebnis ist schlicht nichts Geringeres als die Weltformel – „weil es keine tiefere Begründung geben kann für die Phänomene der Natur“. Daraus ergeben sich Ableitungen, die nach Ansicht des 58-Jährigen beim CERN-Experiment die Pest mit der Cholera austreibt. Die CERN-Physiker wollen bei dem drei Milliarden Euro teuren LHC-Versuch so genannte Higgs-Teilchen nachweisen, die im Standardmodell der Elementarteilchenphysik vorhergesagt werden. Higgs-Teilchen, so geht es aus Gorgels Supertheorie hervor, können nicht entstehen, weil es sie nicht gibt. Und wenn es sie nicht gibt, können sie sich auch nicht zu kleinen schwarzen Löchern zusammenballen. Auch schön.
Allerdings wird Antimaterie frei. Die schwebt, wenn Gott die Welt à la Gorgels gebaut hat, nicht irgendwo unerkannt im Universum herum, sondern steckt in den Protonen, die im CERN-Projekt miteinander kollidieren sollen. Dabei werden nach Gorgels positiv geladene Positronen frei, die sich mit den negativ geladenen Elektronen aus der Umgebung verbinden. Den Atomen, etwa aus den Wänden der Versuchskammer, gehen die Elektronen verloren. „Keine Ahnung“, so Gorgels, wie sich Atome verhalten, denen die Elektronen abhanden kommen. „Entweder, es kommen genug Elektronen aus der Umgebung nach – oder eine Explosion ist nicht abwegig.“
Zwei Briefe hat Gorgels in die Schweiz geschickt und einen ans Bundesforschungsministerium – ohne Antwort. Man müsste sich vor Mai 2008 mit seiner Warnung auseinander setzen, findet er. Denn die etablierten Physiker wüssten nicht, was sie tun – und geben das auch selbst zu; sie sagten, sie lebten „in größter Verwirrung“ und erhofften sich von dem LHC-Versuch „Denkanstöße aus dem Labor“, einen Ausweg aus der Misere. Tatsächlich sei ja seit 1928, seit Entdeckung des Tunneleffekts – heute Grundlage für das Rastertunnelmikroskop – nicht mehr viel passiert. Der Konsens für den großen Protonen-Crash entstehe aus größter Verunsicherung heraus, nicht aus Stärke.
Er selbst werde in der Physik als „bunter Hund“ angesehen. Was er zu sagen habe, werde ignoriert. „Die haben ihre Dogmen.“ Sie würden fragen, wo denn bei seiner Theorie die „Super-Symmetrie“ sei – dabei war Asymmetrie der Grund für den Urknall, „im Anfang war Asymmetrie“, sagt Gorgels. Wenn er Recht hat, hatte Gott „im Anfang“ nichts weiter vor – aber irgendwas ist schief gegangen.
Völlig ins Abseits katapultiert sich Gorgels, wenn er sagt, dass er 4C für möglich hält – die vierfache Lichtgeschwindigkeit. „Wenn sie das sagen, bekommen sie bei den Physikern nicht mal mehr einen Kaffee angeboten.“
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