Landeshauptstadt: Explosionsgefahr, weil die Zeit läuft
Blindgänger könnten detonieren / Systematische Suche in Planung / Seit 1990 mehr als 60 Funde in Potsdam
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In Potsdam besteht immer noch die Gefahr, dass Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg explodieren. Das sagte der bekannte Stadthistoriker und Luftkriegsexperte Hans-Werner Mihan auf PNN-Anfrage. Nach Angaben des brandenburgischen Kampfmittelbeseitigungsdienstes bestehe bei der überwiegenden Zahl der Blindgänger Explosionsgefahr, wenn diese bewegt oder erschüttert werden. Doch einige der Bomben könnten sogar selbstständig – ohne fremdes Einwirken – detonieren, denn mit voranschreitender Zeit verschleißen die Sprengkörper, die die Alliierten in der Nacht vom 14. April 1945 über Potsdam abgeworfen hatten. Laut Mihan sei es „ein Glücksfall, dass in Potsdam noch nie etwas passiert ist“, wie beispielsweise in diesem Jahr auf der Autobahn bei Aschaffenburg, als ein Mann durch die plötzliche Explosion einer Fliegerbombe ums Leben gekommen war.
Besonders gefährlich seien die Blindgänger, deren Zündsysteme mit einer Feder vorgespannt sind, so der Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes, Wilfried Krämer. Eine weitere Gefahr gehe zudem von den Bomben mit Zeitzündern aus, betonte Mihan. Diese seien ebenfalls auf die heutige Landeshauptstadt gefallen – ein Polizeibericht von 1945 berichte davon, jedoch ist die Anzahl unbekannt. Das Problem bei den chemischen Zeitzündern: Sie sind so konzipiert, dass sie mit Hilfe einer Säure den Zünder auslösen und die Bombe auf diese Weise zur Explosion bringen. Bei den Blindgängern schafft nun die Zeit, wobei die Chemie vor 61 Jahren teilweise versagte, durch Korrosion: Sie rosten, und die Säure wird wirksam.
2002 wurde ein solcher Blindgänger bereits am Langerwischer Weg in den Ravensbergen gefunden. Er musste vor Ort gesprengt werden.1991 explodierte eine Bombe mit Zeitzünder durch Selbstzündung im Forstring in Oranienburg und am 20. Oktober 1993 im Oranienburger Lehnitzsee. Menschen wurden damals jedoch nicht verletzt. Anders könnte eine solche Explosion in Potsdam ausgehen. Dort seien vermutlich auch die Havelgewässer an der Alten und der Neuen Fahrt stark gefährdet, so Mihan. Gebiete also, auf denen viele Touristendampfer unterwegs sind.
Laut Mihan habe die englische Luftwaffe bei dem Potsdam-Angriff etwa 4000 Fliegerbomben und Luftminen über Potsdam abgeworfen. Am 21. Juni 1944 ließen die Amerikaner bei einem Tagesangriff bereits rund 100 Tonnen Bomben auf Babelsberg fallen. Wie viele davon als Blindgänger in der DDR-Zeit entdeckt wurden ist unbekannt, weil diese Funde damals nicht dokumentiert wurden. Seit 1990 seien in Potsdam allerdings über 60 noch nicht detonierte Bomben entschärft oder gesprengt worden, sagte Mihan.
Für das Land Brandenburg existiert eine Kampfmittelverdachtsflächenkarte, die sich an alten englischen Luftaufnahmen orientiert und fortlaufend aktualisiert wird, so Krämer. Diese Karte stehe auch der unteren Bauaufsichtsbehörde in Potsdam zur Verfügung. Bei allen Baumaßnahmen in den auf dieser Karte ausgewiesenen Gefahrengebieten müsse der Bauherr eine „Kampfmittelfreiheitsbescheinigung“ vorlegen, um eine Baugenehmigung zu erhalten, so Krämer. Doch seitdem in diesem Jahr bereits zweimal rund 12 000 Potsdamer aus Babelsberg und Zentrum Ost ihre Häuser verlassen mussten, weil Baggerfahrer bei Bauarbeiten in der Lotte-Pulewka-Straße auf alte Fliegerbomben gestoßen waren, plant die Verwaltung nun, das städtische Erdreich systematisch nach Bomben zu durchsuchen (PNN berichteten). Priorität sollen dabei soziale Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten haben. Laut Stadtsprecherin Rita Haack arbeite das Ordnungsamt derzeit an einem Konzept, das im Januar den Stadtverordneten vorgelegt werden soll. Genaueres wollte sie dazu aber noch nicht sagen.
Für Hans-Werner Mihan ist die systematische Bombensuche „auf jeden Fall sinnvoll“. „Das hätte schon längst gemacht werden müssen“, meint er, sei aber „eine kostspielige Angelegenheit“. Besonders die stark betroffenen Gebiete rund um den Bahnhof bis zur Humboldtbrücke bedürften einer gezielten Absuche. Auch der Kampfmittelbeseitigungsdienst unterstütze das Potsdamer Vorhaben umfassend, so dessen Leiter Krämer. So würden etwa die Pläne dazu gemeinsam mit dem Ordnungsamt erstellt.
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