zum Hauptinhalt

Aus dem GERICHTSSAAL: Fahrrad „weggefunden“?

Gericht ging von geringer Schuld der Arbeitslosen aus

Stand:

Amtsrichterin Monika Holk hört zwei Aussagen, wie sie konträrer nicht sein können. Sabine S.* (40) wird beschuldigt, beim Auszug aus ihrer Wohnung das hochwertige Fahrrad einer Nachbarin aus dem Gemeinschaftskeller gestohlen zu haben. Die Angeklagte behauptet hingegen, sie habe das demolierte Veloziped im Herbst 2007 an den Mülltonnen in der Nähe des Häuserblocks in der Waldstadt gefunden. Da ihr Lebensgefährte handwerklich begabt sei, habe sie es mitgenommen und nach erfolgter Reparatur genutzt. „Das Rad lag eindeutig auf dem Sperrmüll“, betont die korpulente Frau. „Daneben standen noch ein alter Fernseher und ein ausrangierter Computer.“

„Das Rad meiner Frau befand sich im Wäschekeller und war total in Ordnung“, versichert Egon E.* (72) im Zeugenstand. An dem Tag, als Sabine S. mit ihrem Partner die letzten Kisten und Müllsäcke aus dem Keller räumte, sei es noch da gewesen, am darauffolgenden Morgen nicht mehr. „In unserem Haus hielt sich das Gerücht, das Paar wolle nach Holland auswandern. Die fahren doch dort alle Rad. Da wird sie es gebraucht haben“, glaubt der Rentner. „Mein Freund hatte Arbeit in Holland gefunden. Ich bin hiergeblieben“, entgegnet die Arbeitslose. Sie vermutet eine Intrige der ehemaligen Hausbewohner. „Die haben mich von Anfang an schikaniert. Sobald bloß ein paar Hundehaare auf der Treppe lagen, gab es Stunk.“ Egon E. hat offenbar noch mehr Missetaten seiner ehemaligen Mitmieterin auf Lager. „Die hatten ein reges Liebesleben. Wir mussten jedes Mal die Fenster schließen, weil sie so laut war“, empört er sich, wird allerdings von der Vorsitzenden in die Schranken gewiesen. „Angeklagt ist einzig und allein der Diebstahl. Die Angeklagte bestreitet ja nicht, das Rad genommen zu haben. Fraglich ist nur, wo es zu diesem Zeitpunkt war“, stellt sie klar. Sabine S. hat als Entlastungszeugen ihren Lebensgefährten mitgebracht. Er stützt die Aussage seiner Freundin. „Sie kam ganz freudig an und sagte: Kiek mal, wat ick gefunden habe“, so der Gleisbauer. „Das Hinterrad war kaputt, der Lenker verbogen.“ Da er gerne bastle, sei die Reparatur für ihn kein Problem gewesen. „Wir trafen das Pärchen am 24. September vorigen Jahres zufällig auf der Humboldtbrücke, mit dem Rad“, wirft Egon E. erregt ein. „Da waren keine neuen Teile dran.“ Inzwischen sei es wieder im Besitz seiner Frau, stehe wohlverwahrt – und angeschlossen – im Keller.

Ein Diebstahl des Fahrrades sei der Angeklagten nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Allenfalls käme Fundunterschlagung in Betracht, befindet Richterin Holk. Da die Vorstrafen der Angeklagten inzwischen gelöscht sind, stellt sie das Verfahren wegen geringer Schuld ein. (*Namen geändert.) Hoga

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })