HEYES Woche: Feiern wie die Bayern
Ich wurde hellhörig, als sich die Nachricht verbreitete, das Berliner Oktoberfest sei eröffnet. Ein glückstrahlender Fernseh-Reporter lieferte außerdem die Information, der hiesige Quell überschäumender Lustbarkeit starte zeitlich noch vor dem Münchner Oktoberfest.
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Ich wurde hellhörig, als sich die Nachricht verbreitete, das Berliner Oktoberfest sei eröffnet. Ein glückstrahlender Fernseh-Reporter lieferte außerdem die Information, der hiesige Quell überschäumender Lustbarkeit starte zeitlich noch vor dem Münchner Oktoberfest. Das stimmt zwar nicht (in München haben sie eine Woche vorher mit dem Zapfen angefangen), aber so ganz ohne Entwicklungshilfe aus Bayern geht es sowieso nicht. Ein mürrischer bayerischer Ministerpräsident (er kam direkt von seiner Lieblingskanzlerin) erschien im Berliner Festzelt, haute den Schlegel gegen den Zapfen und ließ Bier in die Maßkrüge schäumen.
Zwar folgt dem 60. Berliner Oktoberfest in wenigen Tagen das 48. Historikertreffen. Doch leider gehen die Wissenschaftler nicht der Frage nach, wer diese bayerische Leihgabe in die Stadt geholt hat. Es gibt sie eben, in Berlin wie an zahllosen anderen Orten in der Welt. Das „O’Zapft is“ dröhnt in Afrika, China, Südamerika und gleich dutzendweise in jedem US-Staat, einschließlich Hawaii und selbstverständlich New York. Es ist nicht ohne, New Yorker in Dirndl- und Lederhosen zu bewundern, dazu Accessoires vom Haferlschuh bis zu Wadeln-Stutzen bei Blasmusik und Schuhplatteln, was das Maßschwenken im Dreivierteltakt erleichtert. Das weiß ja jeder Ami: So ist es, das echte Germany. Das moderne Deutschland vereint bekanntlich Laptop und Lederhose. In diesem Image steckt womöglich das Geheimnis, warum der Wies’n-Virus immer noch ansteckt: Hopfentechnisch gelingt die Verbindung des digitalen Zeitalters mit der analogen Welt.
Dieser bayerische Kulturexport hat in den USA wohl beigetragen, das ramponierte Bild der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geraten zu lassen. Mit Fettfingern an Hendl und Brez’n erscheint der deutsche Mensch als gemütlicher Biertrinker. Die Trinkgefäße sind so groß, dass es Schlangen druckbetankter Männlichkeit vor die „Waschräume“ treibt, wie man in den USA die Toiletten benennt: Input gleich Output.
Schauen wir also nachsichtig auf den bayerischen Bierfest-Export. Schließlich verdrängt es jedenfalls zeitweilig Begriffe wie „Weltuntergang“ und „Blitzkrieg“ aus dem Vokabular angelsächsischer Lehnworte und lässt dafür „Oktoberfest“ gleich neben „Wanderlust“ und „Kindergarten“ den Vortritt. Passt auch viel besser zu dem ebenso übernommenen Begriff „Weltniveau“, zu dem es eine ideale Kehrseite bildet. Ich gebe zu, dass ich trotzdem wenigstens in Brandenburg auf Widerstandsnester gegen Blasmusik und Lederhosen hoffe. Es lebe der kleine Unterschied.
Uwe-Karsten Heye schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor war Redenschreiber bei Willy Brandt und Regierungssprecher von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Heute lebt Heye mit seiner Familie in Babelsberg und arbeitet dort als Autor und Publizist.
Uwe-Karsten Heye
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