Landeshauptstadt: Feilschen als Sprachlernprogramm
Die neu erlernten Zahlen beim Handeln auf dem Flohmarkt in Peking ausprobiert
Stand:
Mit dem Schnellzug und 345km/h ging es mit meiner Familie auf Reisen. Die erste Station war Peking. Dort mieteten wir uns für drei Nächte in einem internationalen Jugendhotel ein. Ich genoss diese Zeit am meisten, weil ich sehr viele nette und interessante Bekanntschaften machte. Ich traf zum Beispiel einen amerikanischen Journalisten, der schon fast überall in der Welt gewesen war und eine Menge zu erzählen hatte. Dann einen Brasilianer, eine Holländerin, eine Gruppe Schweden, Dänen und sogar zwei Deutsche aus Bayern. Alle waren leidenschaftliche Weltenbummler und berichteten mir von ihren Reisen wie zum Beispiel nach Indien, Afrika, Israel und der Mongolei.
Am zweiten Tag in Beijing besuchten wir einen Flohmarkt. Bei jedem Stück, das wir kauften, drängelte ich mich also vor und übte meine neu erlernten Zahlen. So wurde uns ein sehr hübsches Schachbrett von ursprünglich 600 Yuan zu 50 angeboten. Mein Chinesisch wurde immer sehr gelobt, es sei „hen hao“ also „sehr gut“, was aber noch längst nicht der Fall ist.
Mama fand die Gesichter der Händler am interessantesten. Es gab sehr viele mongolische und braun gebrannte Gesichter, die Frauen hatten aufgetürmte und in Netze gebundene Frisuren. Es wurden überall Waren angeboten. Dort gab es sorgfältig aufgebaute Schmuckstände, woanders wurde um Bücher, Kleidung und Antiquitäten gefeilscht. Es war ein sehr kalter Tag. Wir hatten es leider versäumt, uns der Kälte entsprechend anzuziehen und froren in dem eisigen Wind, doch die Händler und Händlerinnen saßen, nach guter Vorsorge dick eingemummelt hinter ihren Ständen und freuten sich, frierende, nach billigen Handschuhen suchende Touristen zu sehen.
Bald machten wir uns wieder zum Bahnhof auf, diesmal nicht in eine schon bekannte Gegend. Wir stiegen in den Zug, der uns innerhalb von drei Tagen und zwei Nächten nach Kunming einer sieben Millionenstadt in der tropischen Provinz Yunnan bringen sollte. Diese ist bekannt als eine der mit der größten Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren der Welt. Wir fuhren durch atemberaubende Landschaften. Überall waren Reisterrassen und kleine Dörfer zu entdecken. Auf den Feldern grasten die Wasserbüffel oder pflügten die Bauern per Hand. Um uns herum hoben sich Berge aus dem Boden und die Luft wurde immer besser. Die Baustile veränderten sich, man blickte nicht länger auf die gläsernen Wände der Wolkenkratzer, sondern auf die weißen, zum Teil schon eingefallenen Mauern der bescheidenen Behausungen der Arbeiter. Es gab keine gepflasterten Straßen mehr. Die Bauern müssen dort neben ihren Wasserbüffeln oder Mulis her auf einem staubigen Pfad laufen. Wir verspürten auch keinerlei Hast unter den Menschen wie es in der Großstadt oft der Fall war, sondern nur eine sich auf alle ausbreitende Ruhe.
Auf unserer langen Reise häkelte ich mir eine Mütze und knotete mehrere Armbänder, welche ich den Bewohnern unserer Nachbarbetten gab. In dem Zug mit neun Waggons waren wir die einzigen Ausländer, und die einzigen, die Englisch konnten. Wir probierten deshalb abermals unser Chinesisch aus und gaben so den Chinesen wieder einen Grund zum Lachen Josefine Markarian
Die Autorin ist 14 Jahre alt und lebt seit September in China. In loser Reihenfolge schreibt sie über ihre Eindrücke
Josefine Markarian
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