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Interview mit Martin Sabrow: „Feindbilder verlieren an Kurswert“

Der Historiker Martin Sabrow sieht politische Feindbilder auf dem Rückzug. Stattdessen macht er im Westen eine Kultur der Zurückhaltung aus. Aber: „Die Entwicklung kann sich schnell wieder umkehren“.

Stand:

Herr Sabrow, Sie haben sich als Historiker mit der Frage des Feindes beschäftigt. Sie sprechen von einer verblassten Kategorie. Zeigt uns nicht der aktuelle Blick auf die Krim-Krise, dass sich wenig geändert hat?

Gerade an dieser Krise ist zu erkennen, dass wir im EU-Europa Wladimir Putin nicht als Feind oder Erzfeind darstellen. Pressekarikaturen zeigen ihn als russischen Bären oder auch überlegenen Gegner, nicht aber als Feind mit verfestigten Negativattributen. Die Vorstellung der klassischen Feindschaft ist unserem politischen Denken weitgehend abhandengekommen, was unserer politischen Kultur sehr zugute kommt. Das führt dazu, sich in den anderen stärker hineinzudenken, seine Interessenlage zu verstehen, seine Handlungsmotive zu begreifen. Die deutsche Außenpolitik bewegt sich seit Gründung der Bundesrepublik in einer Kultur der Zurückhaltung, die der Gewalt abgeschworen hat. Das soll nicht heißen, dass das Freund-Feind-Schema auf ewig verbannt ist; aber es hat gegenwärtig keinen Kurswert mehr. Selbst in der Zuspitzung der Krim-Krise greift die Unterscheidung von Freund und Feind weniger stark, als man zunächst vermuten möchte, und auch das unterscheidet das Handeln in der Krimkrise von dem in der Bosnienkrise 1914.

Martin Sabrow (59) ist Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF). Er ist Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Uni Berlin.

Ist das auf der russischen Seite denn ähnlich?

Nein, wahrscheinlich nicht. Wir haben es hier eher mit einem westlichen Eigenweg zu tun. Um ihn zu verstehen, hilft die Unterscheidung zwischen politischem und vorpolitischem Feindbild. Vorpolitische Feindbilder als verfestigte Stereotypen und Vorurteile existieren vermutlich in allen Gesellschaften, und sie drängen auch bei uns schnell wieder an die Oberfläche, wie allein die Islam-Diskussion zeigt. Anders steht es um das politische Feindbild. Carl Schmitt hat das Freund-Feind-Denken in den 1930er-Jahren als die Kernfrage des Politischen definiert. Das würde man heute nicht mehr sagen.

Auch nach den Anschlägen vom 11. September nicht?

Für die europäische Wahrnehmung des 11. September sehe ich das so, für die amerikanische Sicht aber nicht. Allerdings haben wir es gewiss nicht mit einem linearen Trend zu tun. Das Verblassen der Feindkategorie ist eine Entwicklung des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts, und sie könnte durch aktuelle Bedrohungsszenarien sehr schnell wieder umgekehrt werden. Die zeithistorisch bisher letzte scharfe Freund-Feind-Polarisierung in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland war mit der 1968er-Zeit und mit dem Terror der RAF verbunden. Die Gesellschaft fühlte sich bedroht und versuchte des Feindes mit Fahndungsplakaten Herr zu werden, auf denen sie Tod oder Gefangennahme der Gesuchten mit befriedigter Ausstreichung quittierte. Und im terroristischen Feindbilddenken wurde der Staat zum Schweinesystem und seine Polizei zu Bullenschweinen, auf die in Ulrike Meinhofs Worten natürlich geschossen werden könne.

Wie erklärt sich nun das Verschwinden dieses Denkens?

Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Konkurrenz um die bessere Ordnung der Gesellschaft. Mit diesem Wandel der politischen Kultur im Westen ergab sich Raum für die wachsende Bedeutung der Menschenrechte, und eine stärkere Wertschätzung des Individuums. Heute schützen wir die Würde des Einzelnen, des Kindes, des Beeinträchtigten stärker. Und wir subsumieren das Schicksal des Einzelnen weniger stark als früher unter Kollektivsubjekten, wie Volk, Klasse oder Nation.

Wie weitgreifend ist diese Entwicklung?

Die Kategorie des Feindes ist aus unserer Gegenwartskultur weitgehend verschwunden. Die Vorstellung, dass Katholiken, Sozialdemokraten, Kommunisten oder staatliche Nachbarn als Erz- und Erbfeinde gesehen werden, ist unserem politischen Denken fremd geworden. Hillary Clinton hat in der vergangenen Woche mit ihrem Versuch, das Handeln Putins mit dem Hitlers zu parallelisieren, zumindest in Europa nur wenig Zustimmung geerntet. Man empfindet solche Vergleiche nicht nur wegen der monströsen Singularität der NS-Herrschaft als deplatziert, sie greifen zurück auf Stereotypen einer Verfeindung, die unserer Kultur auch in der jetzigen Krisenzuspitzung nicht angemessen erscheinen.

Das Freund-Feind-Denken war nicht erst im 20. Jahrhundert aufgekommen.

Natürlich nicht. Die Antike unterschied zwischen Krieg und Zwist, zwischen dem politischen und dem persönlichen Feind. Das Mittelalter lebte in der Furcht vor dem Satan und dem Antichrist als Gottes Widersachern, und die Frühneuzeit kannte den Reichsfeind. Aber erst mit dem Aufstieg des Nationalismus erwuchs die Idee des Erbfeindes mit häufig entmenschlichten Zügen, der mit dem beginnenden 20. Jahrhundert die Welt in Freund und Feind schied und dessen tödliche Bedrohung nach dauerhafter Unschädlichmachung oder gar Vernichtung verlangte. Anders als kulturell tradierte Vorurteile können Feinde in der politischen Kultur von einem Moment zum anderen auftauchen und wieder verschwinden. Die europäische Gelehrtenwelt zerfiel mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges von einem Tag auf den anderen in verfeindete Lager; die deutsch-französische Erbfeindschaft verwandelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in wenigen Jahren zur vertraglich bekräftigten deutsch-französischen Freundschaft.

Warum war dieses Feinddenken damals so beherrschend?

Dafür gab es zahlreiche Ursachen. Die krisenhafte Ausprägung der Modernisierung, der Aufstieg des Nationalismus, die Ablösung religiöser und traditioneller Vergemeinschaftungsformen und vor allem den Kampf der Ordnungssysteme. Das 20. Jahrhundert ist die Geschichte einer Auseinandersetzung von drei gesellschaftlichen Ordnungsmustern, die jeweils in strengem Gegensatz zu ihrem Gegenentwurf standen: zum einen Demokratie und Rechtsstaat, zum anderen Faschismus und Nationalsozialismus und schließlich der Kommunismus.

Ich höre bei Ihnen aber auch einen gewissen Optimismus heraus, dass diese wirren Zeiten überwunden sind.

Als Historiker kann ich in die Vergangenheit schauen, aber nicht in die Zukunft. Aber als Zeitgenosse bin ich natürlich froh zu wissen, dass wir heute den Feind nicht mehr als Integrationsmittel zur Sicherung von Herrschaft und zur Stiftung von Gemeinschaft brauchen, wie ihn die sozialistische Welt noch bis 1989 und immer weniger überzeugend beschworen hat. Das Verblassen des Feindes hängt auch damit zusammen, dass die Werte unserer Zeit nicht mehr exklusiv, sondern vielmehr inklusiv gedacht sind.

Was meinen Sie damit?

Unser Gegenwartsdenken geht von dem Grundsatz aus, dass es uns gut geht, wenn es auch den anderen gut geht. Die hundertjährige Wiederkehr des Ersten Weltkriegs erinnert uns heute an eine Zeit, in der weit über 1918 hinaus der Grundsatz galt, dass es uns gut geht, wenn es den anderen schlechter geht. Westliche Politik operiert mit Inklusionswerten wie Würde, Recht, Selbstbestimmung und Partizipation, deren Sinn darin liegt, dass sie von jedermann in Anspruch genommen werden können. Die Kategorie des Feindes passt nicht unter diesen Wertehimmel, und wer sich gegen ihn stellt, ist in unseren Augen vielleicht unwissend oder verführt oder möglicherweise gewissenlos, aber jedenfalls doch nur der Gegner, dem grundsätzlich die durch Geduld und Festigkeit lenkbare Fähigkeit zur besseren Einsicht zuzubilligen ist. Und nicht der Feind, mit dem es keine Verständigung geben kann.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

HINTERGRUND

In der Reihe „Potsdamer Gespräche“ stehen in diesem Jahr Freund- und Feindbilder im Mittelpunkt der Betrachtungen. In der Veranstaltungsreihe will man der Geschichte von Freund- und Feindbildern im 20. Jahrhundert nachgehen. Die Reihe beginnt mit einem Blick auf das Phänomen des Feindbildes als einer Jahrhundertkategorie und thematisiert anschließend die Konstruktion von Freund- und Feindbildern an unterschiedlichen Beispielen. Diskutiert werden staatliche Feindbilder vom Ersten Weltkrieg bis zum Kalten Krieg ebenso wie etwa Bilder von echten oder vermeintlichen Freunden in der DDR. Ziel ist es, herauszuarbeiten, welche geschichtsmächtige Rolle die Topoi von Freund und Feind im Jahrhundert der Extreme gespielt haben. Nach dem Vortrag von Martin Sabrow zum „Feind als verblasster Kategorie“ am gestrigen Dienstag spricht am 17. April John Zimmermann im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte über die Deutschen und ihr Militär im 20. Jahrhundert (18 Uhr). Am 22. Mai spricht Christopher Clark über den Ersten Weltkrieg. (Kix)

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