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Sport: Fernziel Helsinki

Carmen Rüdiger will es mit Jürgen Bruns als Trainer noch einmal wissen

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Carmen Rüdiger will es mit Jürgen Bruns als Trainer noch einmal wissen Von Thomas Gantz Carmen Rüdiger – geborene Wüstenhagen – vom SC Potsdam ist ausgesprochen zurückhaltend, wenn sie auf ihre Passion zu sprechen kommt. Warum dies so ist, erschließt sich nicht sofort. Man unterhält sich mit ihr und irgendwann reift die Erkenntnis, dass Bescheidenheit einer der wichtigsten Wesenszüge der aktuellen deutschen Vizemeisterin über 1500 m sein muss. Sie unterscheidet sich damit grundlegend von sich gern exaltiert gebenden Leichtathleten wie Tim Lobinger oder Sina Schielke. Für die nähere sportliche Zukunft könnte sich das gesunde Maß an Distanz zu sich selbst als wertvolles Faustpfand erweisen. Viel erlebt und noch viel vor – unter dieses Motto ließe sich das Comeback der Olympiastarterin von 1996 stellen. Carmen Rüdiger spricht davon, dass Gefühl zu haben, in ihrer wechselvollen Karriere noch nicht ans Limit gegangen zu sein: „Wenn ich mit dem Leistungssport aufhöre, möchte ich das mit der Gewissheit tun, noch einmal alle Möglichkeiten ausgereizt zu haben. Das treibt mich an, nichts weiter.“ In Atlanta scheiterte sie mit 4:07,86 min im Halbfinale. Vorher hatte sie mehrmals das Gefühl, überbeansprucht in Wettkämpfe geschickt worden zu sein. 1998 in Texas sei sie dann von Winthop Graham so fit wie nie gemacht worden, erinnert sie sich. Der Jamaikaner, einst selbst ein erfolgreicher Hürdenläufer, änderte die Trainingsmethodik. Nicht von ungefähr erreichte die gebürtige Luckenwalderin in jenem Jahr über 800 m (2:01,12 min) und 1500 m (4:06,05 min) ihre persönlichen Hausmarken. Eine Unterbrechung vollzog sich 1999 aus Verletzungsgründen. Es folgten drei wettkampffreie Jahre. Carmen Rüdiger heiratete und wurde im September 2001 Mutter eines Sohnes namens Luca. Die Familie wohnt in der Brandenburger Vorstadt ganz in der Nähe von Sanssouci, wo sich bekanntlich beste Möglichkeiten zur läuferischen Betätigung bieten. Auf einer der Touren kam ihr der Gedanke, noch einmal ernsthaft anzugreifen. Sie tat dies unter Anleitung von Katje Schmidt, rannte 90 Kilometer pro Woche und stagnierte doch. Über die 1500 m benötigte sie um die 4:20 min. „Das war kein Laufen, das war irgendwie ein unrund wirkendes Stochern ohne Rhythmus und Stehvermögen im Schlussspurt“, bemerkte ein Mann, der die Athletin durch Zufall Anfang Juni dieses Jahres bei einem Meeting in Dessau in Aktion sah. Dieser Mann ist Jürgen Bruns. Die Jahre, während derer er seine heutige Ehefrau Ulrike als Trainer in die Weltspitze führte, liegen lange zurück. Der heute 61-Jährige wurde erfolgreicher Geschäftsmann und blieb aufmerksamer Beobachter der Leichtathletikszene. Mehrmals hielt er sich im kenianischen Hochland auf, wo er sich ein Bild davon machen konnte, unter welch unspektakulären Bedingungen internationale Topstars „gemacht“ werden. Bruns sieht sich durch diese Reisen geprägt. Seine Philosophie ist klar und einfach zu fassen: „Laufen ist Leben, Laufen ist Freude. Im Leistungsbereich jedoch ist ein gewisses Maß an Härte unentbehrlich.“ Jürgen Bruns und Carmen Rüdiger arbeiten seit zehn Wochen zusammen. Bemerkenswert sind die schnellen Fortschritte, groß die Zuversicht, noch längst nicht am Ende der Möglichkeiten angelangt zu sein. Carmen Rüdiger verbesserte sich über 1500 m binnen zweier Monate um runde zehn Sekunden. Sie startete in Königs Wusterhausen und beim ISTAF in Berlin. Dort hielt die ihr eigene Zurückhaltung sie noch davon ab, in entscheidenden Situationen Lücken zuzulaufen. Bei einem Straßenlauf zum Saisonabschluss in Dessau nun schlug ihr die Stunde. Carmen Rüdiger rang nach absolvierten zehn Kilometern im Endspurt die Kenianerin Rebby Cherono Koech nieder, kassierte die Siegprämie und kam zu der Erkenntnis, dass die Zeit reif dafür ist, noch einmal mit aller Konsequenz durchzustarten. Bei Bruns, dessen anfängliche Skepsis verflogen ist, rannte sie offene Türen ein. Getreu dem Motto, dass der gute Leichtathlet im Winter gemacht wird, geht es ab Anfang Oktober zur Sache. Die Trainingsumfänge werden wachsen, Ski wird gefahren und mit moderner Programmatik zwei ersehnte Fernziele ins Auge gefasst. Carmen Rüdiger will auf der längeren Mittelstrecke Deutsche Meisterin werden und sich unbedingt für die Weltmeisterschaften in Helsinki qualifizieren. Morgen geht es aber erst einmal in den einwöchigen Familienurlaub auf Mallorca.

Thomas Gantz

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