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Landeshauptstadt: Festival mit Biker-Fahrdienst

Rock am Wasserturm: Integration behinderter Menschen im Vordergrund

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Hermannswerder - Solche Szenen sieht man nicht alle Tage. Da heben zwei muskelbepackte Biker einen geistig- und körperlich behinderten Jungen behutsam von seinem Rollstuhl auf den Rücksitz einer brummenden Harley. Der Junge zeigt seine Freude mit einem lauthalsen Lachen, dann schlingt er seine Arme vertrauensvoll um den kräftigen Leib des Motorradfahrers, der keine Miene unter seiner dunklen Sonnenbrille verzieht. Den gesamten Nachmittag über kutschieren die Biker ihre Schützlinge über die Halbinsel Hermannswerder. „Ein schöneres Bild für die Integration behinderter Menschen kann man sich nicht vorstellen“, sagt Matthias Molkentin. Der 29-jährige Heilerziehungspfleger organisiert das mittlerweile sechste integrative Festival „Rock am Wasserturm“ mit dem gleichnamigen Verein und mit der Hoffbauer-Stiftung. „Die Grundidee wurde aus dem Umstand geboren, dass es finanziell und organisatorisch schwierig ist, mit behinderten Menschen Rockkonzerte außerhalb zu besuchen“, erzählt er.

Dass die Biker seit dem ersten Festival dabei sind, ist hauptsächlich dem ehemaligen Heimerziehungspfleger und Hobby-Motorradfahrer Mischa Finke (46) zu verdanken. „Es gab zunächst Berührungsängste auf Seiten der Biker“, erzählt der etwa zwei Meter große Mann, „die pflegen normalerweise ihr Macho-Image und haben selten etwas mit behinderten Menschen zu tun“. Aber mit seinen weitreichenden Beziehungen konnte Finke immer mehr Biker für das Festival begeistern. Und Heute „fahren viele Biker am Festivaltag ihren Tank hier leer“, sagt Molkentin.

Ganz unentgeltlich treten auch die Musiker auf. „Die Patienten“ aus Potsdam singen ergreifende deutsche Texte und spielen einen flotten Ost-Rock dazu, lebensfroher Reggae kommt von M.C.Kaki and the Popjam und „Pulse“ geben als Headliner und Pink-Floyd-Cover-Band großartige Versionen von „The Wall“ und „Money“.

Das Programm ist nicht nur abwechslungsreich, es verwirklicht ebenso den Integrationsgedanken: Die meisten Musiker der Band „Self“, die extra aus Frankfurt am Main anreisten, leben mit einer Behinderung. „Wir sind anders und spielen auch anders“, sagt der Jazzmusiker Hartmut Hillmann, der das Band-Projekt im hessischen Hochheim betreut. Anders an der Musik von „Self“, die Rock- und Popmusik von den 60ern bis heute nachspielen, sind manche Passagen, die man ansonsten als schräg gespielt hören würde. Die Stellen, wo die Stimme der Sängerin etwas entgleist oder wo der Rhythmus etwas verrutscht, lässt Hillmann bewusst gelten. „Generell ist das Musizieren mit behinderten Menschen genauso wie mit normalen“, sagt der Jazzmusiker, „aber wenn der Schlagzeuger nur einen gesunden Arm hat, dann muss er das mit viel Übung kompensieren“.

Die Unterschiede sind nur marginal: Behinderte Menschen können sich nicht so lange konzentrieren oder sie müssen von ihrem Betreuer an den Termin der Probe erinnert werden. Die achtstündige Reise nach Potsdam haben die Hessen gerne auf sich genommen. „Man kümmert sich hier rührend um uns“, sagt Hillmann, „ich habe das gleich am Telefon gemerkt, als wir vor einem halben Jahr diesen Auftritt planten, das sind nette Leute da in Potsdam“.

Karsten Sawalski

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