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Landeshauptstadt: Filmkulisse wurde Gartenlokal

Nur wenn im Stadion der Ball rollt, wird es in der Sparte Babelsberg 1912 etwas lauter

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Nur wenn im Stadion der Ball rollt, wird es in der Sparte Babelsberg 1912 etwas lauter Von Erhart Hohenstein In den 70er Jahren suchte die DEFA für eine Filmkomödie einen Drehort im Grünen und fand ihn in der Kleingartenanlage „Babelsberg 1912“, wo traditionell auch einige Angestellte der Filmgesellschaft ihre Parzellen hatten. Als Filmkulisse errichteten die DEFA-Handwerker ein kleineres Gebäude – so kam die Sparte zu ihrem Vereinslokal. Nach Abschluss der Dreharbeiten blieb das Häuschen stehen, wurde durch die Gartenfreunde inzwischen mehrfach erweitert, mit einem Festplatz und einer Bühne versehen. Es waren jene Jahre, als bei „Babelsberg 1912“ wie in den meisten anderen Potsdamer Kleingartenanlagen die Geselligkeit blühte: Pfingstkonzerte, Sommer- und Kinderfeste, musikalische Frühschoppen, Skatturniere gehörten zum Standard. Dafür wurde neben dem Platz am Vereinslokal auch die große Festwiese, so für Ponyreiten und andere Kinderbelustigungen genutzt. Um alle Besucher unterzubringen, mussten sogar Stühle und Tische von den Nachbarsparten ausgeborgt werden. Gabriele Thies hat das als Kind noch miterlebt, denn ihre Eltern bewirtschaften hier seit langem eine Parzelle. „Doch diese Zeiten sind vorbei“, stellt sie heute als Vereinsvorsitzende fest. „Zwar gehen zahlreiche Gartenfreunde nach wie vor zum Wirt ein Bier trinken oder feiern dort runde Geburtstage, doch die meisten veranstalten ihre Partys auf der eigenen Parzelle.“ Auch, weil es billiger wird, denn als Rentner, Handwerker, Bauarbeiter, Busfahrer zählen die meisten der 88 Pächter nicht zu den gut Verdienenden. Gabi Thies selbst arbeitet als Verkäuferin in einem Baumarkt. Vor drei Jahren ist sie in den Vorstand gewählt worden, seit einem Jahr Vorsitzende. Dafür sei die aktive und energische Frau bestens geeignet, urteilen ihre Gartenfreunde, wohl wissend, wie schwer heute jemand für dieses mit viel Arbeit verbundene Ehrenamt zu finden ist. Da gilt es die vorgeschriebene Beetfläche durchzusetzen, die ein Drittel der Parzelle einnehmen muss, ist ein Nachbarschaftsstreit über eine zu hohe Sichtblende zu klären, muss für das Vereinslokal ein neuer Pächter gefunden werden – Interessenten können sich noch melden. Das Gelände der einstigen Sportstättenverwaltung oberhalb des Karl-Liebknecht-Stadions ist in Privathand verkauft worden und soll neu bebaut werden. Ausgerechnet dort verläuft aber die Wasserzuleitung für die Sparte. Vom Tisch ist der Versuch aus den 50er Jahren, die Anlage einer Wohnbebauung zu opfern. Dagegen hatte die nahe gelegene Sternwarte wegen der dann verschlechterten Beobachtungsbedingungen ihr Veto eingelegt. Probleme und Problemchen, die man bei einem Spaziergang durch die Kleingartenanlage nicht bemerkt. „Babelsberg 1912“ weist eine überdurchschnittlich hohe Zahl von vorbildlich gestalteten und gepflegten Gärten auf, mit vielen gut tragenden Kirschbäumen und in diesem Jahr besonders prachtvollen Erdbeeren. Den Ökogarten, der auf die übliche Beeteinteilung verzichtet, möchten manche Gartenfreunde allerdings nicht dazurechnen, obwohl der Pächter im Vereinsschaukasten für diese Art des Gärtnerns wirbt und dazu seinen Rat anbietet. Angenehm ruhig ist es hier draußen. Nur am Sonnabend oder Sonntag wird es plötzlich laut für ein paar Stunden. Dann rollt im unmittelbar angrenzenden Stadion der Ball. Als Störung empfinden das die Kleingärtner nicht. „Im Gegenteil, viele sind Fußballfans und besuchen die Spiele“, verrät Gabriele Thies. „Seit die Frauen von Turbine Potsdam so erfolgreich auftreten und nun sogar Deutscher Meister geworden sind, hat das Interesse noch zugenommen.“

Erhart Hohenstein

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