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Landeshauptstadt: Fingerspiel

Die Potsdamerin Kati Drescher hat eine eigene Wolltechnik entwickelt und fertigt Teppiche an – ganz ohne Werkzeug

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Flink greifen die Finger nach dem dicken, grauen Wollstrang und eins, zwei, drei entstehen die ersten Maschen, die aussehen wie ein eng geflochtener Zopf. Würde Kati Drescher die langfaserige Wolle in diesem Tempo weiter verknoten, hielte sie in gut anderthalb Stunden ein knapp drei Zentimeter dickes Kissen mit einem Durchmesser von über 30 Zentimeter in den Händen. „Am Anfang war jede gelungene Masche ein Highlight. Aber das ist alles eine Sache der Übung“, sagt die inzwischen routinierte Woll-Verkopplerin, löst die begonnene Arbeit wieder auf und legt das Knäuel beiseite. „Verkoppelung der Wolle.“ So nennt die Potsdamerin die Handarbeitstechnik, die sie vor knapp drei Jahren eher beiläufig beim Spielen mit Dekowolle auf ihrem Wohnzimmersofa erfunden hat.

Kati Drescher perfektionierte die Fingerübung, die an Stricken oder Häkeln ohne Nadeln erinnert, und fabriziert in ihrer Freizeit feste, bunte und kuschelweiche Sitzkissen sowie Teppiche in einer charakteristischen und sehr gleichmäßigen Grobstrickoptik. Die Wollwaren, jedes ein Unikat, vertreibt sie seit Herbst vergangenen Jahres unter dem Label „mariemeers“.

„Ich hatte schon immer eine Affinität zu Wolle“, sagt die 42-Jährige mit den blauen Augen und den braunen, halblangen Haaren. Schon als Schülerin habe sie mit ihren Freundinnen gehäkelt und später für ihre Tochter Mützen, Schals und Pullis gestrickt. Dass aus dem entspannenden Hobby einmal eine Geschäftsidee werden würde, stand allerdings nie auf ihrem Zettel. Die gelernte Fernseh-Redakteurin, die in Nordhessen aufgewachsen ist, baute in den 1990ern den Musikkanal Viva mit auf. Später berichtete sie als TV-Autorin über Stars und Mode. Nach der Geburt ihrer Tochter zog Kati Drescher vor etwa zehn Jahren aus dem quirligen Berlin ins beschauliche Potsdam und machte sich mit einer PR- und Marketingagentur selbstständig.

Und dann lag eines Abends im Wohnzimmer ihrer Potsdamer Wohnung dieser naturweiße gut ein mal zwei Meter große Wollüberwurf auf einem Stuhl und erregte die Aufmerksamkeit der Freunde und Bekannten. „So einen will ich auch“, hörte Kati Drescher von da an immer öfter und verkoppelte zahllose Wollknäuels, um die Nachfrage zu bedienen. Der Überwurf war „nicht wirklich ein Teppich“, aber ihr erstes größeres und fertiges Stück.

Die Teppiche und die Sitzkissen, wahlweise in rund oder eckig zu haben, entwickelten sich zu Rennern, und Kati Drescher setzte ihre kleine Woll-Manufaktur auf ein neues Gleis. Sie dachte sich das Kunstwort „mariemeers“ als Labelname aus und kreierte mit ihrem Bruder, einem Maler und Grafiker, eine Corporate Identity.

Kati Drescher legt privat und beruflich großen Wert auf ökologisch und ethisch korrektes Konsumentenverhalten sowie Wirtschaften. Von Anfang an war klar, dass die Wolle aus der Region von Brandenburger Schafen kommen sollte. Außerdem verarbeitet sie ausschließlich unbehandelte Wolle, die lediglich gewaschen, gekämmt und teilweise gefärbt wurde. Der Rohstoff stammt von unterschiedlichen Rassen. Die Mischwolle ist besonders langfaserig und eignet sich deshalb perfekt für die Verkoppelung à la Drescher.

Ihren Wolllieferanten verschweigt Kati Drescher, und sie gibt auch keine Details ihrer Handwerkstechnik preis. „Betriebsgeheimnisse“, sagt sie und grinst. Sie erzählt lieber von den fertigen Produkten, die sie im letzten Arbeitsschritt mit einer Filznadel bearbeitet, damit die Stücke noch stabiler werden und im Gebrauch weniger ausflusen. Eine solche Filznadel erhält jeder Kunde mit seiner Ware, um lose Fäden unkompliziert und ohne Vorwissen mit der Filznadel wieder verschwinden zu lassen. Außerdem gehört obligatorisch ein Lavendelbeutel als Mottenschutz sowie eine Pflegeanleitung dazu.

In einem Online-Shop bietet Karin Drescher Sitzkissen und Teppiche in unterschiedlichen Größen sowie Maßanfertigungen an, entweder naturbelassen oder in zehn Farben. Die anfänglichen Freundschaftspreise, 50 Euro für einen 1,20 mal 1,80 Meter messenden Teppich, sind Geschichte. Je nach Größe reicht die Preisspanne von knapp 600 bis 1700 Euro. Sitzkissen kosten 79 Euro. Insgesamt hat sie bislang 60 Stücke hergestellt, die Hälfte Teppiche, die andere Sitzkissen, schätzt Kati Drescher. Für letztere mit einer Kantenlänge von 35 Zentimeter benötigt sie etwa ein Kilo Wolle und anderthalb Stunden. Für ihre Standardteppiche sind mindestens sieben Kilo Wolle nötig; die Lieferzeit dauert ungefähr drei Wochen. Derzeit verarbeitet sie in ihrem Wohnungs-Atelier, in dem es intensiv nach Lavendel duftet, für den Teppich eines Kunden 45 Kilo Wolle. Wie viel Verkoppelungszeit am Ende darin stecken wird, kann Kati Drescher noch nicht sagen.

In ihrem Atelier verbringt Kati Drescher nach Bürotagen in der Regel noch ein Stündchen auf einem lilafarbenen Arbeitsteppich. Das Wolle-Verkoppeln ist nicht nur Nebenerwerb, sondern lenkt ab und entspannt. Manchmal so sehr, dass Kati Drescher dabei einnickt. Mit der aktuellen Auftragslage sei sie zufrieden. Kati Drescher schätzt den persönlichen Kontakt zu ihrem überschaubaren Wollkundenkreis und freut sich über jedes Feedback, wenn etwa ein Foto in der Post liegt mit dem handgefertigten Teppich in der neuen Umgebung. Als hauptberufliche Woll-Frau sieht sich Kati Drescher vorerst nicht. Einerseits liebt sie ihren Job als PR-Frau zu sehr. Andererseits will sie in Sachen Wolle erst einmal abwarten, ob sich aus einem aktuellen Modetrend überhaupt eine Kontinuität entwickelt. „Ich würde mich natürlich nicht sperren, wenn ’mariemeers’ sich etablieren und wachsen würde“, sagt sie.

Die Hobby-Wollunternehmerin vertreibt die Waren hauptsächlich über ihren Online-Shop. Außerdem bildet Kati Drescher mit den befreundeten Möbel- und Objektdesignern von „Rejon“ sowie „Dessau Design“ eine Art Künstlerkollektiv und präsentierte sich dieses Jahr in Stuttgart und Hamburg als „Potsdam Designer“ bei „blickfang“, einer internationalen Designmesse für Möbel, Mode und Schmuck. Den nächsten öffentlichen Auftritt hat sie vom 22. bis 24. November in Potsdam bei den Designtagen Brandenburg. Zum Debüt vor einem Jahr besuchten das Branchentreffen mit Markt, Konferenz und Rahmenprogramm 10 000 Menschen. Klingt nach einer guten Gelegenheit, die verkoppelte Wolle von „mariemeers“ noch bekannter zu machen.

Im Internet:

www.mariemeers.de

Thomas Joerdens

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