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Von Peer Straube: „Fingerspiele“ mit Potsdam

Der Historiker Hartmut Knitter feiert heute seinen 75. Geburtstag

Von Peer Straube

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Sie fallen sofort ins Auge. Drei Fotos, Postkarten. Sie stehen vor den Bergen von Büchern über Potsdam, über seine Herrscher und vor zahllosen Bänden über die vielen Kriege, die Menschen gegeneinander geführt haben. Die drei Fotos zeigen Marilyn Monroe, Kronprinzessin Cecilie und die russische Opernsängerin Anna Netrebko. Schöne Frauen, alle drei. Sie sind die Schwärmerei „eines älteren Herrn, der sich erinnert, dass es früher auch mal Frauen gegeben hat“.

Hartmut Knitter lacht, als er das sagt. Der „ältere Herr“, er feiert heute seinen 75. Geburtstag. In Potsdam ist Knitter längst eine Legende. Er ist ein Geschichtslexikon auf zwei Beinen, ein Liebhaber sepiafarbener Ansichten dieser, seiner Stadt. Erstmals beschnuppern durfte Knitter seine spätere Wahlheimat im Alter von vier Jahren. Seine Eltern nahmen den Kleinen auf einen Kurztrip nach Potsdam mit. Die Familie wohnte damals noch in Soldin in der Neumark, im heutigen Polen. Ein Schnappschuss zeigt den Kleinen auf dem Arm des Vaters – die Kulisse, wie könnte es anders sein – Sanssouci. 1938 war das.

19 weitere Jahre sollte es dauern, bis der junge Mann endgültig in die noch vom Krieg gezeichnete alte Preußenresidenz übersiedelte. 1957 kam Knitter als frischgebackener Absolvent der Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg nach Potsdam. Bis heute ist diese Entscheidung für ihn ein „außerordentlicher Glücksfall“. Nicht nur für ihn. Auch das Potsdam-Museum, für das er 42 Jahre arbeitete, verdankt Knitter viel. Geschichte zu entstauben, lebendig und menschlich zu machen, das hat er immer verstanden. „Man muss den Zuhörern einen sehr bunten Teller anbieten“, sagt er.

Am meisten wurmen ihn heute verpasste Chancen der Nachwendezeit. „Als die Russen weggingen“, ärgert er sich, „hätten wir viel mehr fotografieren müssen“. Eine Dokumentation hätte er sich gewünscht, die zeigt, was die Soldaten in ihren Kasernen alles gemalt haben. Rote Sterne zierten, natürlich, oft die Wände. „Aber manchmal haben die Soldaten auch einfach ihre Heimat gemalt.“ Weite russische Landschaften, viele Birken darin. „Mich hat das traurig gemacht“, sagt er leise. „Die waren immer eingeschlossen und haben von uns nichts mitbekommen.“ Schon zu DDR-Zeiten hat Knitter im Potsdam-Museum versucht, das zu ändern. Man wollte Vorträge in den Kasernen halten, den Soldaten die Stadt zeigen. „Damit sind wir einwandfrei vor die Wand gelaufen“, bedauert er.

Seit zehn Jahren ist Knitter nun schon im Ruhestand, doch Potsdam lässt ihn nicht los. Er legt Fotobände an, in denen er Aufnahmen aus verschiedenen Epochen einander gegenüberstellt. Ansichten von vor dem Krieg kontrastieren mit den Ruinen nach der Bombennacht, dann wieder historische Fotos, kombiniert mit dem, was die SED an exponierte Stellen klotzen ließ. „Fingerspiele“ nennt Knitter das. Sein Enthusiasmus ist spürbar.

Er kramt einen Brief hervor. Er ist von Konstanze von Schulthess-Rechberg, der jüngsten Tochter des Hitlerattentäters Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Im vergangenen Jahr hat Knitter ihr die Stätten gezeigt, an denen ihr Vater in Potsdam Hitlers Sturz vorbereitete. Der Brief ist der Dank für ein „Wochenende, das mein Mann und ich nie vergessen werden“, schrieb Schulthess-Rechberg. Knitter ist sichtlich bewegt, als er vorliest. „Diesen Brief hebe ich auf, so lange ich lebe“, sagt er stolz. „Das war für mich der Höhepunkt.“ Es waren auch jene Männer um Stauffenberg, die in Knitter das Interesse für Geschichte weckten. Bis heute sind die Ereignisse um den 20. Juli 1944 eines seiner Steckenpferde. Ein anderes ist – wie könnte es anders sein – Friedrich der Große. Gleich zwei Porträts des Monarchen hängen in Knitters Wohnzimmer an der Wand.

Einmal wenigstens noch will Knitter seine Geburtsstadt Soldin besuchen. Zuletzt war er von 35 Jahren dort, mit seinen Eltern. „Mein Geburtshaus müsste noch stehen“, glaubt er. Wirklich zur Ruhe kommt ein Mann wie Knitter ohnehin nicht. „Zum Glück“, lacht er, „habe ich an allen möglichen Dingen Interesse.“ So wird er weiter alles sammeln, was mit Potsdam zu tun hat. Findet er in irgendeiner Zeitschrift ein seltenes Foto, freut er sich wie ein Kind. Seine Sammlung will er später dem Potsdam-Museum hinterlassen.

Plötzlich springt er auf und zaubert drei Fotos hervor. Eins zeigt das neue Theater in der Schiffbauergasse, das zweite das 1980 auf dem Platz der Nationen (heute Luisenplatz) abgehaltene Manöver „Waffenbrüder“. Auf dem dritten sind die Phasen des Absturzes einer deutschen Focke-Wulf zu sehen. Zusammenhanglos, scheinbar. Und doch weckt jedes Interesse – an Geschichte. Hartmut Knitter kann sie erzählen.

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