
© Manfred Thomas
Von Erhart Hohenstein: Fingierte Erschießung
Peter Seele war Häftling im nordrussischen Workuta – Zeitzeugengespräch in der Villa Quandt
Stand:
Nach dem Tod Stalins traten im Straflager Workuta im Sommer 1953 mehr als 15 000 Häftlinge in den Streik. Mit ihnen verhandelte ein General, wahrscheinlich Roman A. Rudenko, der beim Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg sowjetischer Chefankläger war. Inzwischen wurden um das Lager Truppen zusammengezogen. Am 1. August 1953 eröffneten sie das Feuer auf die streikenden Häftlinge. Es gab Hunderte Tote. Im Hagel der Stahlmantelgeschosse, die selbst Bäume und Barackenwände durchschlugen, sprang Peter Seele in einen Abflussgraben und überlebte so. Das Blutbad, das die Soldaten anrichteten, besaß selbst für den fronterfahrenen Potsdamer ein unfassbares Ausmaß.
Am Freitagabend berichtete der 81-Jährige in der Villa Quandt als einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen über das Massaker. Peter Seele war nach dem Krieg aus der Gefangenschaft zu seiner Familie nach Potsdam zurückgekehrt. Er fand bei den Besatzern als Lkw-Fahrer Arbeit und belieferte u.a. das sowjetische Kaufhaus in der Jägerstraße mit Waren. Im Oktober 1951 wurde er plötzlich festgenommen. Er nimmt an, weil er gegenüber dem KGB die Bespitzelung von Kollegen verweigert hatte. Im Gefängnis Lindenstraße, dann in der Leistikowstraße wurde Seele geschlagen, getreten und gefoltert, um Spionage einzuräumen. Doch selbst eine fingierte Erschießung am Rande der damaligen Kiesgrube an der Bornimer Hughstraße konnte ihm kein falsches Geständnis entlocken.
Dennoch wurde Peter Seele zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und mit vielen Mitgefangenen über Moskau nach Workuta geschafft. Dort arbeitete er in bis zu 1000 Meter Tiefe im Kohlebergwerk. Die Schilderung der menschenunwürdigen Zustände, die einem Zehntel der Workutahäftlinge den Tod brachten, jagten den Zuhörern im überfüllten Vortragssaal der Villa Quandt Schauer über den Rücken, Peter Seele aber schilderte sie unsentimental und mit einer Art grimmigem Humor. Im Bergwerk, wo er auch auf radioaktive Pechblende stieß, sei es immerhin wärmer gewesen als über Tage, da waren minus 60 Grad keine Seltenheit. Mit der Entlassung in die Heimat Ende 1955 beendete Peter Seele seinen Bericht, beantwortete aber noch Nachfragen nach seinem weiteren Schicksal. Bis zu seinem Renteneintritt arbeitete er in der Potsdamer Sportstättenverwaltung. Über die Zeit in Workuta konnte er erst nach der „Wende“ berichten, hat dies aber seitdem vor vielen Schulklassen und auch für TV-Dokumentationen getan.
Seitens des Fördervereins Gedenkstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis dankte der Vorsitzende Richard Buchner, dass das Brandenburgische Literaturbüro für den Abend erneut seinen Vortragssaal zur Verfügung gestellt hat. Dies lehnt die Leitung der Gedenkstätte Leistikowstraße bis zur Fertigstellung der neuen Dauerausstellung frühestens im Jahr 2011 ab. Der Versammlungsraum werde für die Forschungsarbeit benötigt.
Die Landtagsabgeordnete Linda Teuteberg (FDP) forderte, „den Opfern eine Stimme" zu geben. Dies sei für die Aufarbeitung der Geschichte der SED-Diktatur von hoher Bedeutung, auch angesichts des Alters der Zeitzeugen. Auf dem Gesprächsabend wurde bekannt, dass nunmehr auch der ehemalige KGB-Häftling Karl Häberlein, der die Arbeit des Fördervereins aktiv unterstützt hatte, im Alter von 86 Jahren verstorben ist.
Erhart Hohenstein
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